
Land in Sicht! Über 2.000 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser, seit wir die Osterinsel verlassen haben. Vor unserem Bug sehen wir die mächtigen, schneebedeckten Anden, an Steuerbord bläst ein Wal und zu den Albatrossen und Sturmvögeln, die uns seit einiger Zeit begleiten, mischen sich die ersten Küstenvögel wie Möwen. Der Wind weht schwach von achtern und wenige Meilen vor der Insel Chiloe, unserem ersten Ziel, bergen wir das Vorsegel und drehen den Zündschlüssel um. Klick. Nichts passiert. Mist! Gerade jetzt, wo unser erster Landfall in Patagonien und der berüchtigte Canal Chacao vor uns liegen, streikt die Maschine. Kein Strom. Wir kramen das Überbrückungskabel raus, um die Starterbatterie zu überbrücken. Im selben Augenblick, wie das Kabel den Pluspol berührt, gibt es einen ohrenbetäubenden Knall, rote Splitter fliegen durch das ganze Boot und die ganze Kajüte ist in Rauch gehüllt. Eine unserer Verbraucherbatterien ist soeben explodiert. Kurz darauf legt der Wind auf 30 Knoten zu. Ohne funktionierende Maschine und ohne Batteriespannung müssen wir die letzten Meilen zu einem geschützten Ankerplatz vor dem Canal Chacao gegen den Wind kreuzen. Ohne Motor durch den Kanal zu segeln ist unmöglich, die Strömung erreicht bis zu neun Knoten (Wir fahren unter Maschine sechs Knoten) und Wirbel, Strudel und gefährliche Wellen sind hier an der Tagesordnung.

Drei Wochen früher auf Rapa Nui, der Osterinsel. Ein freundlicher Beamter der Armada drückt uns unser Despacio, ein Papier mit voraussichtlicher Abfahrts- und Ankunftszeit sowie den Daten zu Schiff und Crew, in die Hand, wir machen ein paar letzte Besorgungen für die lange Überfahrt nach Patagonien, und fahren mit dem Dinghy zurück an Bord. In der Zwischenzeit hat der Wind ordentlich zugelegt und auf Nord gedreht, was den Ankerplatz höchst unkomfortabel und das Umsteigen vom Dinghy an Bord zu einem Abenteuer macht. Normalerweise steigen wir über die Badeplattform an Bord, diese bewegt sich in den Wellen jedoch gefährlich auf und ab, so dass Riki seitlich an Bord klettert und wir die Kinder an ihren Schwimmwesten, die eine Halteschlaufe am oberen Rücken haben, wie Kartoffelsäcke an Bord heben. Das Dinghy hochzuholen und zu sichern ist unmöglich bei diesen Wellen, darum bereiten wir alles andere vor, holen den Anker auf und schleppen das Dinghy die ersten Meilen zur Windabgewandten Seite der Osterinsel, wo wir uns etwas ruhigeres Wasser erhoffen.

Zwischen den beiden kleinen vorgelagerten Inseln Motu Iti und Motu Nui und der Osterinsel (Rapa Nui) lassen wir die ARACANGA treiben, befestigen das Dinghy an den Davits und ziehen es hoch. Es ist zwar immer noch wellig und nicht ganz einfach, die Karabinerhaken vorne und hinten am Dinghy einzuhängen und den Außenborder abzunehmen und an die Reling zu hängen ist unmöglich, aber eine viertel Stunde später haben wir es geschafft, das Beiboot zu sichern, so gut es eben geht bei diesen Bedingungen. Den Außenborder hätten wir gerne an Bord geholt wie bei den letzten Überfahrten, jetzt muss er eben am Dinghy hängen für die geplanten 15 bis 20 Tage bis Patagonien. Wir ziehen das gereffte Großsegel hoch, dazu die kleine Genua, die wir zwei Tage vorher statt der großen Genua aufgezogen haben, und los geht die rasante Fahrt. Mit einem Schnitt von sieben Knoten rauschen wir nach Südosten.

„Ich glaube, nach dieser Überfahrt bin ich durch mit dem Thema Segeln“, röchelt Riki mit dem Kopf über die Reling gebeugt zwischen zwei Portionen Mittagessen, die retour kommen und als Fischfutter im Meer enden, „vielleicht höchstens noch am Ammersee.“
Die ersten Tage einer Überfahrt sind nie besonders schön, bis Körper und Geist sich an die Schiffsbewegungen und den neuen Rhythmus von Wachen und Schlafen gewöhnt haben, dauert meist mindestens 48 Stunden. Diesmal jedoch trifft es Riki besonders hart, sie muss sich dauernd übergeben und ist zu nicht viel fähig, außer zu vegetieren. Die Kids hingegen sind bewundernswert robust, sie spielen verstecken in der Bugkabine, wo die Schiffsbewegungen mit Abstand am ruppigsten sind, und freuen sich, dass Papa für die Verpflegung zuständig ist: Es gibt Kekse, Müsliriegel und Marmeladenbrote. Glücklicherweise habe ich gelernt, solchen Aussagen nicht besonders viel Gewichtung beizumessen, denn wie schon unzählige Überfahrten bewiesen haben, wird fast jede Überfahrt nach einer schwierigen Anfangsphase sehr viel erträglicher, wenn nicht gar wunderschön. Schwierig sind kurze Überfahrten von zwei, drei Tagen, da diese enden, bevor sie schön werden. Längere Überfahrten wie diese hingegen entwickeln sich meist zu einer ganz besonderen Zeit im eigenen kleinen Mikrokosmos.

Am ersten Abend ist die Osterinsel schon nicht mehr zu sehen, die letzten Tropikvögel und Fregattvögel fliegen zurück in Richtung Land und wir sind alleine. Stattdessen sehen wir schon bald unsere ersten Sturmvögel, die kleinen Schwestern der Albatrosse, auf die wir uns schon freuen. Der Wetterbericht sagt für die ersten Tage einen stabilen und kräftigen Nordwind vorher, und wir machen gute Tagesetmale in Richtung Südamerika. Wir haben zwei Optionen, den direkten, allerdings von eventuellen Flauten bestimmten Weg nach Südosten, oder den Weg zunächst nach Süden und dann nach Osten, der zwar etwas länger, dafür windsicherer ist. Allerdings ist die Gefahr, auf dieser Route auf Starkwind und Sturm zu treffen, deutlich höher. Der Wetterbericht für die ersten Tage auf der direkten Route sieht sehr gut aus, daher entscheiden wir uns für diese Option. Lieber ein paar Tage länger unterwegs und den Preis der Flauten zahlen, anstatt Sturm. Fünf Tage segeln wir zügig in die richtige Richtung, einen Tag vor Weihnachten bekommen wir dann die erste Flaute.

Das Geheimnis einer Flaute ist, dass man sie einfach akzeptieren muss anstatt dagegen anzukämpfen, dann kann man sie auch genießen. Diese erste Flaute ist wunderschön, das Wasser ist spiegelglatt, der Himmel blau und die Temperaturen angenehm warm. Neben dem Boot sehen wir wunderschöne, hochgiftige Portugiesische Galeeren vorbeisegeln. Wir trinken Kaffee, die Kinder dürfen bei diesem Wetter auf dem Vorschiff spielen und an der Mastreling klettern und die ersten Tage der Seekrankheit sind vergessen. Am nächsten Tag, es ist Weihnachten, kommt auch der Wind langsam zurück und wir segeln, wenn auch lange nicht so zügig wie zuvor, wieder in die richtige Richtung. Kira und Naia halten Ausschau nach Portugiesischen Galeeren und in der Zwischenzeit finden ein paar Weihnachtsgeschenke den Weg in den Salon, wo sie unter den beiden von den Mädels gebastelten Weihnachtsbäumen warten.

„Mama, schau mal, da“, Kira zeigt mit ausgestrecktem Arm und leuchtenden Augen durch den Niedergang auf den Tisch, dann gibt es kein Halten mehr. „Da steht mein Name drauf… und hier steht Naia… schau Naia, das ist für dich. Ein Tiptoi-Buch für Kira, ein Bagger für Naia, ein Magnetspiel und ein paar Utensilien für die Kinderküche für Beide sowie – man kann gar nicht weit genug reisen, um dem Einhorntrend zu entkommen – die so heißgewünschten Teller mit Einhorn darauf, verstecken sich in den mit Stoffresten eingepackten Geschenken. „Das ist der allerschönste Tag!“, meint Kira. Dann gibt es das beste Gulasch der Südhalbkugel und die Ansage, dass das Magnetspiel im Salon bleibt und bitte nicht in die Achterkabine wandert, wo die Kids schlafen und das restliche Spielzeug der beiden ist, aber eben auch der Kompass unseres Autopiloten. Es wäre nicht das erste Mal, dass der Autopilot undefinierbare Kurse steuert, damals war der Verursacher eine kleine Schachtel mit Magnetverschluss.

Das Wetter in diesen Breiten fordert sehr viel mehr Beachtung als in den Tropen, wo wir die letzten Jahre unterwegs waren. Flauten wechseln sich mit kräftigen Fronten ab, die heftige Winddreher mit sich bringen und schnelle Reaktionen erfordern. Zwischen der Osterinsel und 40 Grad Süd sind wir in einer Zone, wo die Passatwinde und die kräftigen Westwinde des Südens sich gegenseitig ablösen. Dazu liegt hier oft ein großes Hochdruckgebiet. Das ganze Wettergeschehen ist sehr vergleichbar mit dem Wetter im Nordatlantik, das Hoch ist sozusagen das Gegenstück des Azorenhochs. Südlich von 40 Grad beginnen dann die sogenannten „Roaring Fourties“, die brüllenden Vierziger, von denen wir zunächst jedoch nicht viel mitbekommen, denn wieder einmal bestimmen Leichtwind und Flaute da Geschehen. Trotzdem, wir haben großen Respekt vor diesen Breiten. Der große Sturm bleibt uns zwar erspart, die Fronten jedoch ermahnen uns jedoch, diesen Leichtwind nicht für selbstverständlich zu nehmen. Eine hohe Dünung von vier Metern und mehr zeigt uns eindrucksvoll, wozu der Wind hier imstande ist. Zweimal am Tag checken wir das Wetter und stecken die optmimale Route ab, wir versuchen, Sturm zu vermeiden und gleichzeitig nicht in die Hoch- und Tiefdruckkerne zu segeln. Die vielen Stunden des Wetterroutings zahlen sich aus, die wenigen Flautentage nehmen wir gerne in Kauf dafür, dass wir abgesehen von ein paar kräftigen Fronten kaum Starkwind abbekommen.

Mit jeder Meile nach Süden wird es kälter. Bald beginnen wir, die Türe, die wir in Panama für unseren Niedergang gebaut haben, nachts zu schließen. Lange Klamotten und Socken stehen an der Tagesordnung, in der Nacht kommen die warme Unterwäsche, Mütze und dicke Westen dazu, für den Gang zum Mast, um zum Beispiel die Segel zu reffen, ziehen wir uns das Ölzeug und die Seestiefel zum Schutz gegen überkommende Wellen und Spritzwasser über.

Zu Sylvester sind wir bereits südlich des 40. Breitengrades und wie kann man ein neues Jahr besser beginnen, als in Gesellschaft majestätischer Albatrosse und Riesensturmvögel. Wir sehen einen toten Pottwal neben dem Boot treiben, ein Festmahl für Vögel von oben und Haie von unten. Zu den großen Vögeln gesellen sich Sturmschwalben und Wasserläufer, um an dem Sylvesterschmaus teilzuhaben, knapp unter der Wasseroberfläche erkennen wir mehrere Blauhaie. Wir feiern Neujahr um 00.00 Uhr UTC, was bei uns um 19.00 Uhr Bordzeit ist. Somit bekommt jeder trotzdem genügend Schlaf ab, um zur Nachtwache halbwegs fit zu sein. Die Nachtwachen jedoch gehen wir einigermaßen entspannt an, wir sind unter Deck und klettern regelmäßig ins Cockpit, um einen Rundumblick zu machen. Andere Schiffe sehen wir jedoch kein einziges, was kein Wunder ist, sind wir doch in einer der abgelegensten Regionen der Welt unterwegs, die Osterinsel, die geografisch isolierteste Insel der Welt im Norden und Point Nemo, den am weitesten von jeglichem Land entferntesten Punkt der Welt im Süden. Abends ist es lange hell und morgens geht die Sonne früh auf, hier auf der Südhalbkugel ist gerade Hochsommer.

Wieder einmal sind wir begeistert, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kinder die langen Überfahrten meistern. Natürlich gibt es anstrengende Tage, an denen gestritten und gemotzt wird, was meist mit Schlafmangel einhergeht, die mit Abstand meiste Zeit jedoch spielen die beiden Rollenspiele, zur Zeit am liebsten Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, oder Duplo, Kinderküche, Tiptoi oder das neue Magnetspiel. Kira ist ganz versessen darauf, Bordschule zu machen, und somit machen wir etwa eine Stunde am Tag Schule. „Bis später Mama, ich geh jetzt in die Schule“, verabschiedet sie sich, geht ins Vorschiff und holt ihren Rucksack mit den Büchern und Heften, kommt wieder zurück in den Salon und jetzt bin ich der Lehrer und nicht mehr der Papa. Dann werden Buchstaben und Zahlen, größer und kleiner, Uhrzeit, Tiere und Pflanzen behandelt. Eine Stunde später, der Rucksack hängt wieder an seinem Haken im Vorschiff, kommt sie wieder heim und erzählt: „Heute haben wir die Uhrzeit in der Schule gelernt“ oder „Mama, ich weiß schon, was drei plus vier ist.“ Kein einziges Mal während der dreiwöchigen Überfahrt hören wir „Wann sind wir endlich da?“

Ein paar Kleinigkeiten machen uns das Leben an Bord leichter und angenehm, so haben wir auf der Osterinsel eine Massive Schlingerleiste um den Tisch gebaut, so dass Stifte und Spielzeug bei Schräglage nicht meht vom Tisch kullern. Eine Antirutschmatte sorgt für zusätzlichen Halt. In der Pantry halten elastische Leinen Flaschen und Thermoskannen an Ort und Stelle. Die Türe im Niedergang hält die Wärme drinnen und die Kälte draußen und die Seitenteile des Cockpits machen auch den Aufenthalt draußen angenehm.

Als der Südamerikanische Kontinent in greifbare Nähe kommt, Motoren wir zum ersten Mal durch eine Flaute, um den dahinter liegenden Wind nicht zu verpassen. Etwas verschlafen rechne ich unseren Dieselverbrauch aus „eigentlich sollte ich auf den anderen Tank umschalten… naja, eine Stunde wird schon noch gehen, dann muss ich nicht in die Achterkabine, wo die Mädels schlafen… außerdem bin ich gerade viel zu müde…“ Eine knappe Stunde später ist der Diesel im ersten Tank leer und die Maschine steht. Plötzlich Ruhe. Mist! Das bedeutet in die Bilge kriechen und Filter und Maschine entlüften, sonst ist der Motor nicht zu starten. Eine leichte Brise schiebt das Boot langsam voran, das Entlüften kann bis nach Sonnenaufgang warten. So machen wir es dann auch, Wind und Wellen sind zum Glück ruhig, wir bauen den Salontisch aus, um zunächst an den darunterliegenden Dieselfilter und danach an die Überwurfmuttern der Einspritzdüsen zum Entlüften zu kommen. Wir lassen die Maschine noch zehn Minuten laufen, um wirklich sämtliche Luft aus dem System zu haben, dann geht es weiter unter Segeln.

Ganz knapp erwischen wir noch den Südwind auf der Rückseite des Hochdruckkerns, der uns die wenigen hundert verbleibenden Meilen bis Patagonien bringt. Abgesehen von einer Reparatur unseres Problemkindes Wassermacher, bei dem wir sämtliche Dichtungen und Simmerringe wechseln, haben wir während der Überfahrt keine weiteren technischen Probleme…
Land in Sicht! Über 2.000 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser, seit wir die Osterinsel verlassen haben. Vor unserem Bug sehen wir die mächtigen, schneebedeckten Anden, an Steuerbord bläst ein Wal und zu den Albatrossen und Sturmvögeln, die uns seit einiger Zeit begleiten, mischen sich die ersten Küstenvögel wie Möwen. Der Wind weht schwach von achtern und wenige Meilen vor der Insel Chiloe, unserem ersten Ziel, bergen wir das Vorsegel und drehen den Zündschlüssel um. Klick. Nichts passiert. Mist! Gerade jetzt, wo unser erster Landfall in Patagonien und der berüchtigte Canal Chacao vor uns liegen, streikt die Maschine. Kein Strom. Wir kramen das Überbrückungskabel raus, um die Starterbatterie zu überbrücken. Im selben Augenblick, als das Kabel den Pluspol berührt, gibt es einen ohrenbetäubenden Knall, rote Splitter fliegen durch das ganze Boot und die ganze Kajüte ist in Rauch gehüllt. Eine unserer Verbraucherbatterien ist soeben explodiert.

Glücklicherweise sind die Kinder und Riki im Cockpit, als die Blei-Säure-Batterie in die Luft geht. Und glücklicherweise bin ich mit Ölzeug und dicker Weste gut gepolstert vor umherfliegenden Splittern und der in diesem Moment detonierenden Batterie mit dem Rücken und nicht mit dem Gesicht zugewandt. Das ganze Boot ist in Rauch gehüllt, Riki greift sich geistesgegenwärtig einen Feuerlöscher und ich bin ein paar Sekunden benommen, bevor ich begreife, was soeben passiert ist. Den Feuerlöscher benötigen wir zum Glück nicht, und nachdem wir die Luken öffnen, lichtet sich der Nebel so langsam und zum Vorschein kommt die zerfetzte Batterie. Wir machen eine schnelle Schadensaufnahme: Die Maschine hat keinen Strom und startet nicht, eine Verbraucherbatterie ist komplett kaputt und die restlichen fünf Batterien sind höchstwahrscheinlich ebenfalls kaputt. Die Batterien sind gerade einmal zwei Jahre alt. Auch unser erst vor einem knappen Jahr gekaufter, großer Inverter (Spannungswandler 12 Volt Gleichstrom – 230 Volt Wechselstrom) funktioniert nicht mehr. Der Solarregler funktioniert und versorgt uns mit etwas Strom, um die Navigation laufen zu lassen. Mit dem Handfunkgerät kontaktieren wir „Corona Lighthouse“ auf der Insel Chiloe und schildern unser Problem.

Dann kreuzen wir unter gerefften Segeln die letzten Meilen gegen den Wind, der mittlerweile auf über 30 Knoten zugelegt hat, zum Ankerplatz im Nordosten der Insel Chiloe. Auf ein Handzeichen dreht Riki das Boot im etwa fünf Meter tiefen Wasser gegen den Wind, um es abzubremsen, dann rauschen der Anker und reichlich Ankerkette nach unten. Geschafft. Der Anker hält. Wir sind da, wenn auch die letzten Meilen nicht so waren wie erhofft. Für ein Ankerbier ist weder Zeit noch Stimmung, die oberste Priorität ist, den Motor wieder startklar zu bekommen. Also ziehen wir den Voltmeter raus und ein paar Messungen später steht fest, dass die Starterbatterie in Ordnung ist, der Hauptschalter der Maschine jedoch kaputt ist. Reparieren lässt er sich nicht, da das Plastik verschmolzen ist, also überbrücken wir ihn kurzerhand, der Motor lässt sich starten.
Im Nachhinein können wir folgendes rekonstruieren: Einmal im Monat für eine Stunde führt unser Solarregler einen sogenannten Zellenausgleich durch, dafür lädt er die Batterien auf 16,4 Volt. Normalerweise werden die Batterien nur bis 14,4 Volt geladen, bei Spannungen über 14,4 Volt fangen Blei-Säure-Akkus an, auszugasen, es entsteht das sogenannte Knallgas, ein hochexplosives Wasserstoff- Sauerstoffgemisch (HHO). Das Ladegerät hat genau in der Stunde, als wir die Batterien überbrücken wollten, seinen monatlichen Zellenausgleich durchgeführt, das konnten wir im Nachhinein auslesen. Die Batterien haben ausgegast, beim Überbrücken ist ein Funke übergesprungen und das Knallgas hat seinem Namen alle Ehre gemacht.

Wir entscheiden uns, nicht wie geplant in zwei bis drei Tagesetappen nach Puerto Montt zu segeln, sondern mit dem nächsten Niedrigwasser durch den berüchtigten Canal Chacao und in einem Schlag direkt bis nach Puerto Montt zu fahren, um dort die Schäden zu beheben.
Das nächste Niedrigwasser ist um 01.00 Uhr nachts, wir stellen also den Wecker auf 00.30, was knapp eineinhalb Stunden Schlaf bedeutet. Dann heißt es warm anziehen, wir melden uns per Funk bei Corona Lighthouse und geben unsere Route durch, dann holen wir den Anker auf und motoren bei absoluter Windstille und Halbmond in den Kanal. Die Bedingungen sind perfekt, Halbmond bedeutet kleinere Tidenunterschiede und somit weniger Strömung, weniger Strudel und weniger Wirbel. Und Windstille bedeutet weniger Welle, denn wenn der Wind gegen die Strömung steht, können sich in diesem Kanal Wellen bilden, die selbst für große Schiffe zur Gefahr werden.

Wir motoren mit etwa zehn bis zwölf Knoten durch den Kanal, das heißt sechs Knoten Bootsgeschwindigkeit plus bis zu sechs Knoten Strömung. Wir steuern von Hand, der Autopilot kann den Kurs nicht halten, zu stark und unvorhersehbar sind die Verwirbelungen im Wasser. Am anderen Ende des Kanals treffen unsere Strömung mit dem Strom, der die Insel von der anderen Seite umläuft, aufeinander, und es bildet sich eine ansehnliche Welle, trotz Idealbedingungen. Hier wollen wir nicht bei Sturm und Vollmond sein, die Kraft der Elemente ist beeindruckend. Leider sind wir, einmal über die Barriere aus Wellen hinweg, jetzt gegen die Strömung unterwegs, die hier jedoch nur noch etwa ein bis zwei Knoten stark ist. Riki legt sich in die Koje und mit vier Knoten motoren wir in den Sonnenaufgang und in eine magische Kulisse schneebedeckter Andengipfel. Endlich klettert die Sonne über die Berge und beginnt zu wärmen, Schicht für Schicht können wir die Klamotten ablegen.

Es gibt Kaffee und Kakao zum Frühstück und wir tuckern durch eine malerisch schöne Landschaft aus kleinen bewaldeten Inselchen, steile Küsten und Sandstrände wechseln sich ab und kleine bunte Fischerboote gehen ihrer Arbeit nach. Per Funk melden wir uns beim örtlichen Segelclub, die einen Platz für uns bereithalten und uns die Festmacherleinen abnehmen. Geschafft. Jetzt liegen wir sicher vertäut in Puerto Monnt, wo wir etwa zwei Wochen bleiben, die Schäden beheben und uns ordentlich ausschlafen möchten. Hinter uns liegt eine wunderschöne Überfaht mit kleinem Schreckensmoment, vor uns liegen die Inselwelt, die Gletscher und Fjorde Patagoniens. Danke ARACANGA, dass du uns mal wieder sicher über den Ozean gebracht hast.
Herzliche Grüße aus Patagonien senden die vier ARACANGAs
MaRiKiNa

Eine spannende Geschichte aus einer phantastischen Welt – inspiriert von unseren Erlebnissen
Vielen Dank für Eure Berichte, die ich immer lese und auch an meinen Sohn und Freunde weiterleite! Besonders bewundere ich Euren Entschluss, mit den Kindern diese Weltumsegelung zu unternehmen, sicher eine große Verantwortung! Aber das zeichnet Euch auch aus und ich gratuliere dazu! Ich bin auch viel herumgekommen und war u. a. auch Stützpunktleiter von Trans Ocean in Nha Trang/Vietnam für einige Jahre.
Hallo liebe Familie,
danke für eure spannenden Berichte. Mir bleibt beim lesen oft die Luft weg. Wie ihr dann die für mich extremen Situationen meistert ist beeindruckend.
Es holt mich auf den Boden zurück, wenn unser Bolzen vom autopilot bricht oder der Kühlschrank nicht mehr tut. Hier in der Karibik ist es zwar teuer und ein bisschen kompliziert, aber es lässt sich alles machen.
Alles gute für die Reparaturen und schöne Erlebnisse in Patagonien
Michael & Evi, sy Ocean Fantasy