Nach einem Monat in Cuba ist es leider an der Zeit, weiterzuziehen. Unsere Visa laufen aus, so denken wir zumindest, und wir möchten uns die 70 Euro pro Person für die Verlängerung sparen. Wie wir später erfahren steht auf den Visa zwar eine Gültigkeitsdauer von 30 Tagen, in Wahrheit sind sie jedoch 90 Tage gültig und lediglich der Vordruck ist veraltet. Hätten wir das früher gewusst, wären wir mit Sicherheit noch ein paar Tage länger in Cuba geblieben, das Land ist zweifellos unser Highlight der Segelsaison. Nichtsdestotrotz steht die Hurrikanzeit vor der Tür und es ist an der Zeit, einen sicheren Ort für den Sommer zu suchen. Dieser Ort heißt für uns Rio Dulce in Guatemala und liegt mit einem Zwischenstopp auf der Insel Grand Cayman etwa 700 Seemeilen entfernt.
Kurs Cayman
Wir klarieren in Cienfuegos aus, was schnell und unkompliziert vonstattengeht, füllen unseren Dieseltank sowie unsere beiden Kanister noch einmal bis zum Anschlag auf, so günstig wird das in absehbarer Zeit wohl nicht mehr möglich sein, und segeln morgens mit einer schwachwindigen Wettervorhersage los in Richtung Süden. Keine Welle und wenig Wind lassen uns zwar nur langsam, dafür sehr angenehm vorankommen. Von Cienfuegos sind es 180 Meilen bis nach George Town, der Hauptstadt Caymans, und unser Plan ist, am kommenden Abend anzukommen. Ruhig und gemächlich segeln wir mit einem angenehmen Schiebestrom, der den wenigen Wind wettmacht und uns gut vorankommen lässt, durch die Nacht und sehen am nächsten Mittag die flache Insel Grand Cayman am Horizont. Auf den letzten Meilen dreht der Strom dann gegen uns und der Wind bleibt komplett aus, so dass wir den Endspurt vor Einbruch der Dunkelheit unter Maschine zurücklegen. Via Funk melden wir uns bei George Town Harbour Control an und gehen an eine der kostenlosen Bojen, wo wir eine schaukelige und unruhige Nacht verbringen.
Cayman – der krasseste Kontrast zu Cuba
Cayman und Cuba liegen nur einen Katzensprung voneinander entfernt und doch könnten die beiden Inseln nicht unterschiedlicher sein. Hier einer der letzten sozialistischen Staaten, der, auch wenn bei weitem nicht alles funktioniert, voller Ideologie und Romantik für die Revolution steckt. Wo Armut zwar sichtbar ist, jeder jedoch ein Dach über dem Kopf und eine Grundversorgung an Lebensmitteln bekommt. Dort der kleine Nachbar, ein Paradies für reiche und zu reiche Leute, Steuersünder und -Flüchtlinge, wo Geld regiert und diktiert und sich viele Einheimischen das Leben kaum mehr leisten können. Wir erwarten nicht viel von Cayman, es ist uns, schon bevor wir überhaupt ankommen, unsympathisch und ist lediglich geographisch gesehen ein willkommener Zwischenstopp.
Am Morgen nach unserer Ankunft melden wir uns erneut über Funk und werden gebeten, dem Motorboot der Harbour Security zum offiziellen Einreisedock zu folgen. Dort angekommen wird Riki für ihr Anlegemanöver an dem engen Steg gelobt und wir gebeten, unseren Kindern doch etwas anzuziehen. Offiziell ist Cayman zwar britisch, der Einfluss ist jedoch zweifellos sehr amerikanisch. Das Einklarieren ist unkompliziert und kostenlos, äußerst freundlich und hilfsbereit. Das hätten wir so nicht erwartet und sind positiv überrascht. Diese Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft begegnet uns in der ansonsten eher einem Disneyland für reiche Leute gleichenden Stadt George Town an jeder Ecke. Selbst der den Verkehr regelnde Polizist an der Straßenecke hat Zeit für ein kurzes Pläuschchen und als er hört, dass wir auf eigenem Kiel und nicht mit einem der zahlreichen Kreuzfahrtschiffe angereist sind, nimmt er kurzerhand Kira an die Hand und kauft ihr im nächsten Laden eine umgerechnet über 20 Euro teure Trinkflasche, was ohne Frage enorm freundlich ist, gleichzeitig aber auch das Konsumverhalten an diesem Ort spiegelt. Wir hingegen versuchen, unsere Ausgaben auf der Insel auf ein Minimum zu begrenzen und wirklich nur das allernötigste zu besorgen, denn das Preisniveau hier ist exorbitant.
Was uns neben der enormen Freundlichkeit der Einheimischen auffällt, ist die gesunde Unterwasserwelt. Rund um die Insel sind Anlegebojen zur kostenlosen Nutzung ausgebracht, dafür ist das Ankern wegen der vielen Korallen verboten. Wir hängen ein paar Tage, während wir auf ein passendes Wetterfenster für die Weiterfahrt nach Guatemala warten, an einer dieser Bojen in unmittelbarer Stadtnähe und verbringen die Zeit mit schwimmen und schnorcheln. Selbst von Deck aus können wir jeden noch so kleinen Fisch auf sieben Meter Wassertiefe am Grund erkennen. Kira entdeckt beim Schnorcheln einen wunderschönen Adlerrochen, der majestätisch unter unserem Boot vorbeizieht sowie einen großen Barrakuda, der es sich im Schatten unter unserem Boot bequem gemacht hat und dort auf Beute lauert. Bunte Rifffische sind allgegenwärtig und ein Schwarm Makrelen folgt uns auf unseren Exkursionen Flossenschlag um Flossenschlag. Ein paar Meter entfernt von uns liegt ein altes Wrack auf wenigen Metern Tiefe, das uns alle und Kira insbesondere fasziniert. Selbst nach einer Stunde im Wasser und trotz Neoprenanzug zitternd und mit blauen Lippen denkt sie gar nicht daran, wieder an Bord zu klettern. Naia begleitet unsere Schnorcheltrips in ihrem gelben Schwimmring, mal mehr und mal weniger geduldig, und planscht kräftig mit. Normalerweise träufeln wir den Kids nach jedem Schnorcheln ein paar Tropfen einer Mischung aus Apfelessig und Isopropanol in die Ohren, um einer Entzündung vorzubeugen. Auf Cayman jedoch sind wir leider etwas nachlässig damit. Die Quittung dafür ist eine Ohrenentzündung von Kira, die wir glücklicherweise schnell wieder unter Kontrolle bringen. Jedoch verschiebt sich unsere Abreise um ein paar Tage, jetzt leider ohne schwimmen und tauchen.
Genau eine Woche nach unserer Ankunft geht es dann endlich weiter, wir bekommen die Ausreisestempel in unsere Pässe und machen uns auf den Weg nach Westen, 500 Seemeilen bis Guatemala. Wir können sicherlich nicht behaupten, Fans von Cayman geworden zu sein, jedoch hat uns insbesondere die enorme Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Einheimischen beeindruckt.
Kurs Guatemala
Wieder einmal haben wir wenig Wind und flaches Wasser, dafür jedoch einen Schiebestrom von etwa einem Knoten. Das sind 24 geschenkte Meilen pro Tag. Im Süden stehen während des gesamten Törns vereinzelte Gewitterzellen, tagsüber bauen sich beachtliche Kumuluswolken zu Türmen auf und nachts können wir helle Blitze beobachten. Je näher wir der Küste von Honduras kommen, desto eindrucksvoller ist das Naturschauspiel. Regelmäßig werden wir von Delfinen begleitet, die je nach Wind mal länger, meist jedoch nur kurz zu Besuch bleiben, da wir oftmals zu langsam und somit zu langweilig für die Tiere sind. Dafür bekommen wir besuch von einer zutraulichen Schwalbe, die wieder und wieder zu uns kommt, sich auf unsere Finger setzt und mit etwas Zuckerwasser stärkt, bevor sie ihre Weiterreise anbricht.
Wir segeln in den Trichter zwischen Honduras im Süden und Belize in Westen, wo die beiden Länder durch die kurze Atlantikküste von Guatemala voneinander getrennt werden. Im Inneren dieses Trichters liegt die Stadt Livingston an der Flussmündung vom Rio Dulce, unserem ersten Ziel in Guatemala und offiziellem Zollhafen. Je näher wir Livingston kommen, desto mehr kreuzen große Bananen-Frachter unseren Weg, denn etwas südlich liegt der Hafen von Puerto Barrios. Von dort aus wird ein beträchtlicher Teil der weltweiten Supermarktbananen verschifft. Wer sich den Appetit auf Chiquita und Co verderben lassen möchte, der sollte sich unbedingt den entsprechenden Wikipedia-Artikel durchlesen. Unser Ziel jedoch ist der Rio Dulce.
Eine Herausforderung bei der Vorbereitung der Überfahrt war es nicht nur, ein einigermaßen passendes Wetterfenster zu finden, sondern eine voraussichtliche Ankunftszeit zu einer möglichst hohen Springtide mit einzuplanen. Ein Springhochwasser ist ein zu Neu- und Vollmondzeiten auftretendes sehr hohes Gezeitenhochwasser. Die Einfahrt in den Rio Dulce ist nur eineinhalb Meter Tief, was für uns mit unseren zwei Metern Tiefgang unmöglich ist. Zu dieser Wassertiefe wird das Hochwasser addiert, das hier jedoch zu seinen höchsten Zeiten nur etwa 60 Zentimeter beträgt. Rein rechnerisch sollte es also klappen. Punkt acht Uhr morgens sind wir vor der Flussmündung, wo das etwa einen Kilometer breite Flach uns den Weg versperrt. Das höchste Hochwasser des Monats ist laut Tidenkalender um 08.20 Uhr, unser Timing stimmt also genau. Der vorherrschende Westwind der letzten Tage jedoch hat große Wassermassen aus dem Golf herausgedrückt und wir haben keine Chance, die Barre zu überwinden. Das Echolot zeigt, obwohl wir an der exakt richtigen Stelle mit dem laut Wegpunkten von revierkundigen Seglern sowie Seekarte tiefsten Wasser sind, nur 1,6 Meter und wir stecken fest. Der Untergrund ist weicher Schlick und mit etwas mehr Drehzahl versuchen wir, uns durch den Schlamm zu schieben. Nach etwa 100 Metern wird die Maschine heiß und wir nehmen die Drehzahl zurück.
Über Funk rufen wir Hector, einen Einheimischen, der uns mit zwei Motorbooten zur Hilfe kommt. Es ist ein richtiger Familienbetrieb, ein Boot ist mit Hector und dem etwa achtjährigen Sohn besetzt, das andere von seiner Frau und dem etwas älteren Bruder. Hectors Boot macht eine lange Leine an unserem Großfall fest und zieht am Masttopp quer zur Fahrtrichtung, bis unsere ARACANGA etwa 45 Grad Schräglage hat und unser Tiefgang somit deutlich verringert ist. Dem Sohn an Bord des anderen Bootes werfen wir eine Schleppleine zu, die an unserem Bug befestigt ist, und Hectors Frau zieht uns nach vorne über die Untiefe. So viel Schräglage hatten wir mit unserer ARACANGA selbst in starken Böen noch nicht. Unseren Motor nutzen wir nicht, da die Gefahr, dass dieser bei so viel Schräglage keine Schmierung bekommt und überhitzt, zu groß ist. Also bleibt uns nicht viel übrig, als das Ruder gerade zu halten und das Geschehen zu beobachten. Es ist ein komisches Gefühl, die Kontrolle über unser Boot abzugeben, Hector, seine Frau und auch die beiden Söhne wissen jedoch genau was sie tun und bringen uns sicher über die Sandbank. Lediglich auf halbem Weg gibt es eine kurze Pause in Schräglage, als die Maschine von Hectors Boot ebenfalls überhitzt. Vor Livingston gehen wir vor Anker und warten auf den nächsten Tag, da sonntags hier nicht gearbeitet und nicht einklariert wird.
Willkommen in Guatemala
Livingston ist ein spannender, bunter, pulsierender Ort. Das Mündungsgebiet des Rio Dulce, das 1524 von den Spaniern besiedelt, später jedoch lange Zeit von Piraten und Gesetzlosen bevölkert war und der Ort Livingston selbst, dessen Gründung auf Sklavenflüchtlinge von der Insel Roatan auf das Jahr 1802 zurückgeht, haben keinen Landzugang, sondern werden komplett vom Wasser versorgt. Leider gilt die Stadt als nicht sehr sicher und wir werden mehrmals gewarnt, unser Beiboot nachts hochzunehmen und anzuketten sowie nichts draußen liegen zu lassen. Da wir nicht die Einzigen sind, die das Hochwasser zur Überquerung der Sandbank genutzt haben, liegen vier Boote über Nacht vor Anker. Raul, der für die Einreise zuständige Agent, nimmt das zum Anlass und informiert die Küstenwache, die nachts Patrouille fährt und die Boote bewacht.
Am nächsten Tag kommt Raul gemeinsam mit den Offiziellen mit einer Lancha, wie die schmalen, hiesigen Motorboote hier genannt werden, längsseits und nimmt unsere Daten auf. Eine Stunde später sollen wir dann mit dem Dinghy an Land und zu ihm ins Büro kommen, um den Papierkram zu erledigen und die gestempelten Pässe zurückzubekommen. Wir streunen ein wenig durch die Stadt, lassen die vielen neuen und fremden Eindrücke auf uns wirken, holen Geld und eine SIM Karte und schließlich unsere Pässe. Willkommen in Guatemala, dem Land, in dem wir das kommende halbe Jahr verbringen werden.
Herzliche Grüße senden die vier ARACANGAs MaRiKiNa