Nach einem Monat auf Providencia ist es an der Zeit, weiterzusegeln. Providencia ist so ein Ort, wo man hängenbleiben könnte. Es ist ruhig und überschaubar, authentisch und fest in Hand der Insulaner. Nicht, dass wir vor hätten, irgendwo hängenzubleiben, selbst wenn wir wollten ginge es hier nicht. Denn was Providencia im Gegensatz zu all den Orten, die wir in den letzten Monaten und Jahren besucht haben, so besonders macht ist, dass es hier eben keine europäischen Expats, ausländische Investoren, amerikanischen Hotelketten oder chinesischen Supermärkte gibt. Selbst wenn wir wollten, hier dürften wir nicht einfach bleiben.
Viel zu tun gibt es nicht auf Providencia, was ebenfalls zum Charme der Insel beiträgt. Dafür gibt es umso mehr zu entdecken. Wir tauchen und schnorcheln viel, Kiras Highlight ist es, am zweiten Mundstück der Tauchausrüstung zu atmen und gemeinsam auf zwei bis drei Meter Tiefe unter dem Boot tauchen zu gehen, oder das Tauchjacket im Wasser schwimmen zu lassen und mit dem zweiten Mundstück so tief zu tauchen wie der Schlauch lang ist.
Wir genießen die Zeit. Ist man einmal in den entspannten Rhythmus der Insel eingetaucht, fällt es schwer, den Anker zu lichten und weiter zu segeln. Einige Zeit sind wir das einzige Boot vor Anker, hin und wieder gesellt sich ein zweites oder drittes Boot für ein paar Tage zu uns. Wie an den meisten Ankerplätzen sind wir die langsamsten und genießen es, uns wenig Zeitdruck zu machen. Viele der Boote, die wir hier treffen, werden wir in Panama wiedertreffen und noch haben wir es nicht eilig, dorthin zu kommen. Denn während der Hurrikanzeit, die im Juni beginnt, werden wir ohnehin länger dort sein. Zwischen Providencia und Panama liegen noch die Insel San Andres, eine Touristenhochburg, an der wir vorbei segeln werden, und das Atoll Albuquerque, unser nächstes Ziel.
Von Providencia nach Albuquerque sind es lediglich 90 Seemeilen, für die wir etwa 15 Stunden benötigen. Am späten Nachmittag holen wir den Anker auf und dümpeln bei zunächst wenig Wind aus der Ankerbucht und entlang der Westseite Providencias. Dann nimmt der Wind etwas zu und wir düsen nach Süden. Kurze Überfahrten von ein bis drei Nächten sind die anstrengendsten für uns, sie sind zu kurz, um in den Rhythmus der Nachtwachen zu kommen und offensichtlich zu lang, um die Distanz ohne Nachtfahrt zurückzulegen. Dementsprechend gerädert sind wir, als am nächsten Morgen nach einem kräftigen Squall mit viel Wind und viel Regen Albuquerque am Horizont auftaucht.
Albuquerque, das ist ein kleines Atoll mit zwei Inselchen südlich von Providencia und San Andres. Offiziell ist es Teil von Kolumbien, auch wenn es geographisch näher an Nicaragua liegt. Es ist rundum von einem großen, ringförmigen Riff umgeben, das im Nordwesten und im Südwesten je eine Riffpassage ins innere des Atolls hat. Innerhalb des Riffs ist das Wasser glasklar und nur etwa zehn Meter tief, allerdings gespickt von Untiefen und Korallenriffen, die bis knapp unter die Wasseroberfläche ragen. Die Einfahrt und die Navigation im Atoll ist nur bei guten Lichtverhältnissen und mit der Sonne im Rücken möglich, anders sind die Untiefen nicht zu erkennen. Auf die Seekarte ist kein Verlass, selbst die beiden Inseln sind um mehrere hundert Meter falsch kartografiert. Das bedeutet, dass einer am Bug steht und mit Armzeichen die Richtung vorgibt. Mit einer guten und vor allem polarisierten Sonnenbrille lassen sich die Riffe gut erkennen und im zick-zack-Kurs Motoren wir zu unserem Ankerplatz genau zwischen den beiden kleinen, palmbewachsenen Inselchen.
„Velero, velero, velero para Armada“ tönt es aus unserem Funkgerät. Albuquerque gehört offiziell zu Kolumbien, auch wenn es geographisch näher an Nicaragua liegt. Um ihren Anspruch auf das Atoll zu untermauern, sind auf der nördlichen der beiden Inseln 15 Soldaten stationiert, die uns jetzt am Funkgerät rufen. Zehn Minuten später sind wir am Strand , wo wir von zwei Schwerbewaffneten und einer Handvoll Soldaten in Badelatschen freundlich begrüßt werden. Da wir nicht sicher sind, ob wir offiziell hier sein dürfen, geben wir ein Problem mit unserem Ruder vor. Das wird zur Kenntnis genommen, scheint aber keinen hier zu interessieren. Viel wichtiger ist ihnen, ob ich Fußball spielen kann und möchte. Delfin, der Inselkommandant, lässt uns in sein dickes Buch eintragen und meint anschließend, dass wir gerne ein paar Tage vor Anker bleiben dürfen und zum Fußball spielen kommen sollen. Super.
Die südliche Insel Albuquerques ist die Insel der Fischer. Außerdem, was eine Art offenes Geheimnis ist, ist sie ein beliebter Zwischenstopp und Umschlagplatz für Drogenschmuggler und Migranten auf dem Weg von Süd nach Nord. Es ist eine Art offenes Geheimnis und wir haben das Gefühl, jeder spielt das Spiel mit. Die Soldaten auf der Nordinsel können nicht viel ausrichten, denn sie haben kein Boot, somit ist es ein Leichtes, Migranten, die ganz offiziell mit dem Flugzeug nach San Andres kommen, dort mit einem Schnellboot abzuholen und nach Albuquerque zu bringen, wo sie wiederum von einem anderen, nicaraguanischen Schnellboot abgeholt und nach Nicaragua gebracht werden. Der Trip kostet 1000 Dollar, ein lukratives Nebengeschäft für die Fischer, und erspart den Migranten den lebensgefährlichen Weg durch den Darien-Dschungel, den dichtesten und gefährlichsten Dschungel der Welt, der Panama von Kolumbien trennt und wo es keine Straßenverbindung gibt. Von Nicaragua aus geht es dann auf dem Landweg weiter nach Norden. Ähnlich läuft es mit dem Koks. Wir haben Freunde auf beiden Inseln, besuchen mal diese und mal jene und schließen Freundschaften hier und dort.
Der erste Tag auf Albuquerque ist wunderbar, der Himmel blau, das Wasser glitzert in sämtlichen Nuancen von tiefblau bis türkis und hinter dem golden anmutenden Sandstrand wiegen die grünen Palmen in einer moderaten Brise. Traumhaft. Wir lassen die Drohne steigen und machen ein paar Bilder vom Boot. Beim zweiten Start jedoch macht es dong, die Drohne knallt gegen den Rumpf und geht auf Tiefe. Selbst unter Wasser blinkt sie zwar noch, ist allerdings nicht mehr zu retten. Ärgerlich, denn zwei Wochen zuvor ist unsere GoPro auf Providencia beim Tauchen kaputt gegangen. Zwei weitere, teure Punkte auf einer ohnehin nicht ganz günstigen Besorgungsliste für Panama. Und gerade hier auf Albuquerque mit seinen vielen Haien hätte die GoPro sicher tolle Bilder geschossen. Wir nutzen das gerade mal dafür, auf unsere Kaffeekasse, in diesem Fall nennen wir sie besser Fotokasse, aufmerksam zu machen 😉
Der zweite Tag auf Albuquerque ist der absolute Kontrast zum Vortag: Schwere, dunkle Wolken hängen am Horizont, die Sonne ist nicht zu sehen und alles sieht nach Sturm und Regen aus. Um sieben Uhr in der Früh kommen unsere Fischerfreunde vom Vortag vorbei und verabschieden sich. Sie bringen ihren Fang zurück nach San Andres und kommen in ein paar Tagen wieder. Mit ihrem Schnellboot brauchen sie etwa eine Stunde für die 20 Meilen. Wir hoffen, dass sie zuhause sind, bevor das Wetter umschlägt.
Kurz darauf geht es los: Die ersten Böen knallen mit 30 Knoten zwischen den Inseln hindurch. Es beginnt zu regnen und zu blitzen und schnell erreichen die Böen 40 Knoten und mehr, Windstärke 8 bis 9.
Wir haben nur einen Handwindmesser, den wir zwei, drei Mal raus halten. Selbst direkt über unserem Biminitop, im Windschatten von Mast und Baum, klettert dieser auf über 40 Knoten. Im Masttopp, wo Windmessanlagen normalerweise installiert sind, kann man nochmal ein paar Knoten obendrauf rechnen.
Unser Anker liegt tief eingegraben im Sand, wir haben ihn am Vortag sorgfältig eingefahren und abgetaucht. Trotzdem schwingt bei diesen Windgeschwindigkeiten immer die Angst mit, dass der Anker ausbricht und das Boot driftet. Bei Sturm und Regen hätten wir kaum eine Chance, heil aus der Lagune zu fahren oder den Anker neu zu setzen. Also ist das einzige was wir tun können unseren Zweitanker zurechtzulegen und anzuschäkeln und diesen im Notfall werfen zu können. Unser Hauptanker ist ein 30 Kilo Bügelanker mit 85 Metern 10mm starker Kette, etwa 35 Meter Kette davon haben wir draußen. Viel mehr Kette können wir nicht nachfieren, denn dann liefen wir Gefahr, bei einem Winddreher zu weit ins Flache zu schwoien. Unser Zweitanker ist ebenfalls ein Bügelanker, 25 Kilo schwer und mit 60 Meter 10mm Kette und liegt jetzt am Bug bereit.
Der stürmische Wind hält den ganzen Tag und die Nacht an und unser Anker hält ohne einen Meter zu rutschen. Auch die zwei Tage darauf lässt der Wind kaum nach und immer wieder blasen Böen mit gut 40 Knoten durch. Durch das den Inseln vorgelagerte Riff baut sich keine sehr große Welle auf, von dem her ist es unter Deck ganz gemütlich, während es draußen tobt und stürmt. Für drei Tage fährt keiner der Fischer raus, sie binden ihre Boote an, bringen zusätzliche Anker aus und verharren in ihren wellblech- und planenbedeckten Hütten im Windschatten des dichten Kokoshains. Eines der Boote hat anscheinend keinen Unterschlupf, sie verbringen die ganze Zeit in Plastiktüten gepackt auf ihrem Boot unter einem kleinen Sonnensegel, das jedoch keinerlei Schutz bietet. In einer kurzen Regenpause zwischen zwei Böen fahren wir ihnen eine Kanne Kaffee rüber. Obwohl die Temperatur nach wie vor über 25 Grad beträgt sind sie durchgefroren und freuen sich riesig über den Kaffee.
Außer der kurzen Kaffeeausfahrt verlassen auch wir das Boot zwei Tage nicht. Wir nutzen den Regen, um unsere Wassertanks aufzufüllen und fangen innerhalb kürzester Zeit 700 Liter, so dass unsere 1.200 Liter Wassertanks zum Bersten voll sind. Kira und Naia freuen sich über den Regen, sie fangen Wasser auf und spielen Kaffeekränzchen mit den Tässchen der Kinderküche und dürfen ausnahmsweise einen Kinonachmittag einlegen. Abgesehen von der ständigen latenten Sorge, dass der Anker nicht hält, ist es gemütlich an Bord. Der Windgenerator hält die Batterien voll, Riki sitzt an der Nähmaschine und flickt einige Kleider der Kinder, die Kids schauen Peterson und Findus, wir trinken Kaffee und machen Pläne für die nächsten Monate in Panama und darüber hinaus. Hätten wir gewusst, was für ein Wetter uns hier erwartet, hätten wir höchstwahrscheinlich nicht in Albuquerque gestoppt. 20 Knoten in Böen waren vorhergesagt und auch die ganze Zeit des stürmischen Wetters lag die Vorhersage falsch. Dank Starlink können wir auch auf Überfahrten und abgelegenen Inseln Wetterberichte herunterladen, die in der Regel sehr genau sind. Diesmal aber lagen sämtliche Vorhersagemodelle komplett daneben, rückwirkend jedoch wurden sie kräftig nach oben gestuft und korrigiert. Aber auch das gehört dazu und wir sind froh, einen guten Anker und hier auf Albuquerque einen guten Ankergrund zu haben.
Am dritten Tag lassen wir unser Dinghy ins Wasser und fahren an den Strand, wo die Mädels endlich wieder rennen, toben und sandeln können und die Fischermänner sich freuen, dass bei uns an Bord während des Sturms alles klar war und meinen, solche Bedingungen hier nur äußerst selten zu haben. Wir bringen einen Sixpack kaltes Bier mit und freuen uns alle auf ruhigeres Wetter.
Am Tag darauf fahren wir mit dem Dinghy zur nördlichen Insel. Eine Handvoll 18- bis 20-jähriger Soldaten zeigt uns die Insel und erzählt vom Leben hier.
„Was macht ihr hier?“
„Wir beschützen die Insel vor Piraten aus Nicaragua.“
„Aha.“
Es gibt ein paar Baracken, einen Fußballplatz und einen Trainingsplatz mit ein paar Hanteln und Gewichten, einen Tümpel mit Süßwasser und einen Schützengraben, der lustigerweise jedoch nach Osten zeigt, wo es keine Passage durch das Riff gibt. Es ist ein komischer Ort und wir werden den Eindruck nicht los, dass die hier stationierten ganz froh sind, kein Boot zur Verfügung zu haben und somit zu Statisten und Zuschauern werden.
Lediglich alle paar Wochen kommt ein Boot der Armada aus San Andres und durchkämmt halbherzig die Insel der Fischer. Wir bekommen einen dieser Besuche mit und komischerweise ist genau zu diesem Zeitpunkt lediglich ein Fischerboot auf der Insel, die gerade aus San Andres angekommen sind. Gefunden wird natürlich auch nichts.
Am nächsten Tag ist Fußball spiele angesagt, die Soldaten laden zum Match. Das letzte Fußballspiel war in Westafrika in Karantaba, das ist fünf Jahre her. Und das vorletzte vermutlich nochmal mindesten fünf Jahre vorher. Ich schlage mich trotzdem ganz gut, schieße drei Tore und auch wenn unser Team am Schluss 9 zu 11 verliert macht es einen riesig Spaß. Zwei große Blasen an den Ballen und einige Aufschürfungen an den Beinen lassen mich das Fußballspiel noch ein paar Tage lang gut in Erinnerung behalten.
Nachmittags, wenn die Fischer zurück zur Insel kommen und ihren Fang anlanden, ist Fütterungszeit. Das Wasser am Strand ist voller Rochen und Haie, jeder möchte einen Teil des Fanges abbekommen. Wir stehen im knietiefen Wasser und unterhalten uns mit den Fischern, während diese die Fische ausnehmen. Über unseren Köpfen kreisen die Fregattvögel und schießen ins Wasser, um unsere Beine strechen große Stachelrochen und zwei Mal werden wir fast von einem Hai umgestoßen. Es ist auch die beste Zeit, um zu schnorcheln, so viele Haie und Rochen auf einem Haufen haben wir sonst noch nie gesehen. Kira ist ganz aufgeregt, sie kommt aus dem Staunen gar nicht mehr raus und durch ihren Schnorchel kann man ihre Dumpfen Freundenschreie hören: „Da, Hai, schau Papa, Hai, da noch einer, da auch, Papa schau, Hai, Hai, Hai. Da! Rochen! Hai!…“ So geht es, bis die Lippen trotz des warmen Wassers blau sind. Wie gesagt, leider ist die GoPro kaputt, somit gibt es diesmal leider keine Unterwasserbilder…
Ein paar Tage nach unserer Ankunft stellen wir fest, dass wir ein Andenken aus Providencia mitgenommen haben: Windpocken. Während Kira nur ein paar Bläschen um die Nase bekommt, ist Naia gesprenkelt. Hier aus Albuquerque können wir wenigstens kaum jemanden anstecken.
Eine Woche nachdem wir angekommen sind tönt eine Sirene hinter unserem Boot. Das Schnellboot der Armada ist auf Patrouille und ein paar schwerbewaffnete meinen, dass wir nicht hier sein dürfen. Wir erzählen ihnen was von Ruderproblemen und plötzlich ist es gut, dass wir einen Vorwand hatten, hier zu ankern. Ruderprobleme und Sturm, nach einigem hin und her sind wir geduldet, müssen aber noch mit den Kollegen auf San Andres funken und versichern, dass wir die Tage weiter segeln werden. Während die Fischer, die hin und wieder bei uns an Bord vorbei kommen, um ihre Handys zu laden oder unser Internet zu nutzen, immer sehr bedacht darauf sind, nicht unser Boot zu rammen, ist die Armada nicht ganz so sensibel und bumst mit ihrem alubeschlagenen Bug gleich zweimal in unsere frisch lackierte Seite. Dankeschön. Das ist der Unterschied von Fischern, die für ihre eigenen Boote verantwortlich sind und den Aufwand und die Kosten kennen, ein Boot in Schuss zu halten, zu den Wichtigtuern hier, die auf einem durch Steuern finanziertem Boot einen auf dicke Hose machen…
Zwei Tage später ist wieder ein Boot der Armada aus San Andres da, sie durchkämmen die Fischerinsel und finden nichts. Als wir ihnen sagen, dass wir heute den Anker lichten werden wirken sie erleichtert, uns bald los zu sein.
Anker auf. Albuquerque hat einen ganz speziellen Abschied für uns parat: Etwa zehn Haie begleiten uns im glasklaren Wasser vom Ankerplatz in die Lagune. Für kurze Zeit vergessen wir fast, auf Wassertiefe und Korallen zu achten, so beeindruckend ist das Schauspiel.
Adios Albuquerque und danke für alles. Es war eine unvergessliche Zeit. Bei absoluter Flaute Motoren wir die 180 Meilen nach Panama, es ist die vermutlich unspektakulärste Überfahrt, seit wir unterwegs sind. Nachts um 12 fälltder Anker in Bocas del Toro im Westen Panamas.
Liebe Grüße
Die ARACANGAs MaRiKiNa
Ahoi aus Deutschland,
Danke für den Bericht aus der Ferne. Wie immer sehr interessant und sehr schöne Bilder.
Zwei ganz süße Kids 👍
Liebe Grüße
Carina