So schnell sind drei Wochen vorbei. Genauer genommen, drei Wochen, an denen wir Besuch von zuhause haben. Uns wird in besagten drei Wochen Urlaub eindrucksvoll gezeigt, wie glücklich wir uns schätzen dürfen, völlig ohne Zeitdruck auf unserer ARACANGA zu leben, und unserem Kumpel Franz, wie schnell eine für herkömmliches Urlaubs- und Zeitverständnis doch relativ lange Zeitspanne von drei Wochen vorbeigehen kann.
Ein paar Wochen zuvor am Telefon: „Also, wir treffen uns Anfang September Martinique und segeln dann in die Grenadinen. Die einzige Unbekannte in dieser Planung ist das Wetter. Das heißt, sollte ein potentieller Hurrikan vorhergesagt sein, werden wir nicht da sein, sondern Schutz im Süden der Karibik suchen. Alles klar?“ – „Alles klar.“
Wettertechnisch haben wir Glück. Die bis dahin so ruhige Hurrikansaison nimmt zwar gegen Ende August etwas an Fahrt auf und eine Woche vor Franz‘ Ankunft verzeichnet das „National Hurricane Center“ des US-Amerikanischen Institutes „National Oceanic and Atmospheric Administration“ zwar mehrere tropische Wellen, die wir genau im Auge behalten, jedoch nichts für uns unmittelbar besorgniserregendes. Eine tropische Welle ist sozusagen die Vorstufe einer Depression, welches wiederum die Vorstufe eines tropischen Sturms und eines Hurrikanes ist. Die Hurrikanskala beginnt am oberen Ende der Beaufortskala, genau genommen bei 64 Knoten Windgeschwindigkeit (118 km/h) und ist in die Stufen eins (schwach) bis fünf (verwüstend) unterteilt. (Hier gibt’s weitere Infos) Eine dieser tropischen Wellen geht kurz vor der Ankunft unseres Besuches nördlich von uns vorbei und zwei weitere bilden sich an der Westküste Afrikas, genauer genommen über Gambia, wo wir so viel Zeit verbracht haben. Passen die klimatischen Bedingungen über dem Atlantik, entwickelt sich die tropische Welle auf dem Weg von Afrika in Richtung Amerika in eine Depression, Sturm oder Hurrikan. Ab einem Hurrikan der Kategorie drei spricht das „National Hurricane Center“ von einem „Major Hurricane“. Die bislang prominentesten Vertreter eines „Major Hurricane“ dieses Jahr waren die Wirbelstürme „Fiona“ und „Ian“, die beide für extreme Zerstörung gesorgt haben.
Geschichten vom Franz
Ende des Wetterexkurses, zurück zum Urlaub: Franz’ Wunschzettel sieht maximale Entspannung vor, Sightseeing wird hinten angestellt. Am vierten September parkt das Taxi in der Marina und spuckt einen in langer Hose und geschlossenen Schuhen eingepackten, geduschten und perfekt rasierten Herren aus. Die Verwandlung zu Shorts und Flip Flops dauert nur wenige Augenblicke und auch das Prädikat „bärtiger Seebär“ können wir schon wenige Tage später verleihen.
Nach zwei Willkommensbier in der örtlichen Hafenkneipe und dem Austausch der wichtigste Neuigkeiten aus der Heimat, der Ferne und aus dem Liebesleben des angehenden Leichtmatrosen packen wir das Gepäck ins Dinghy und fahren die wenigen Meter zu unserem Ankerplatz in Le Marin. Ein Sprung ins 30 Grad warme Wasser, danach gibt es Bonito vom Grill zum Abendessen sowie noch zwei, drei weitere Bier „Auf’s Wiedersehen“. Zeit für einen Absacker, in der Karibik schmeckt der Rum einfach am besten, dann gute Nacht. Wenn das drei Wochen so weiter geht, dann brauche ich danach drei Wochen Urlaub.
Neuer Tag, neues Abenteuer. Wir starten mit kleinen Schritten ins Abenteuer beim örtlichen Supermarkt. „Franz, du wirst abschnallen, wenn du diesen Supermarkt siehst, dort gibt es fast alles“, während ich zu diesen Worten ansetze, fällt mir wieder ein, dass der Supermarkt für den Besucher aus München einen wohl eher dürftigen Eindruck machen wird. Wir decken uns mit ein paar Lebensmitteln für die kommenden Wochen ein, machen einen Abstecher zum Gemüsemarkt, um dort festzustellen, dass dieser montags geschlossen hat, dann geht es zurück an Bord der ARACANGA. Dort heißt es Anker auf und weiter mit kleinen Schritten ins Abenteuer die eineinhalb Seemeilen nach Sainte Anne, der schöneren Alternative zu Le Marin.
Der nächste Tag wird am Strand verbracht und der übernächste mit einer schluchzenden Kira im Wartezimmer der örtlichen Ärztin. Diagnose Mittelohrentzündung. Ein Blick ins Wetter offenbart außerdem Südwind für die kommenden Tage, so dass wir zwei Tage später nach Norden in die Ankerbucht „Petit Anse d’Arlet“ anstatt in die Grenadinen segeln. Kira darf mindestens eine Woche nicht ins Wasser und da das bereits die zweite Mittelohrentzündung innerhalb weniger Wochen ist machen wir uns Gedanke, wie man dem vorbeugen kann, wenn die Entzündung ausgeheilt ist. Eine Mischung aus Isopropanol (Alkohol) und Apfelessig, ein paar Tropfen nach jedem Baden in beide Ohren, ist die Lösung. Bislang scheint es gut zu funktionieren.
Petit et Grand Anse d’Arlet
Die Petit- und die Grand Anse d’Arlet sind zwei Buchten an der Westseite Martiniques. Wir ankern hinter einem Felsvorsprung in der Südlicheren der beiden und genießen das Schnorcheln im türkisen Wasser. Nicht weit von unserem Ankerplatz breitet sich das Riff aus mit schönen und, was heutzutage leider alles andere als selbstverständlich ist, intakten Weich- und Hartkorallen, die eine Heimat für unzählige kleine Fische und anderes Meeresgetier bieten. Große Suppenschildkröten suchen nach Nahrung in den Seegraswiesen und die etwas kleineren, jedoch nicht minder beeindruckenden, Karettschildkröten schwimmen am Riff. Franz wird vom Jagdfieber gepackt und, bewaffnet mit der Harpune, sorgt er zumindest für eine kleine Beilage zum Abendessen in Form einer Stachelmakrele.
Die Windrichtung sieht nach ein paar Tagen besser aus und wir segeln zurück nach Sainte Anne, nehmen dort das Vorsegel, das einen Riss abbekommen hat, herunter und setzen stattdessen die kleinere Rollfock (Glücklicherweise haben wir insgesamt vier Vorsegel an Bord). Die Wahl fällt auf die kleine Fock anstatt der großen Genua, um auf den kleinen Antillen vorherrschenden Am-Wind-Kursen und den zwischen den Inseln teils kräftigen Winddüsen besser zurecht zu kommen. Gut gemeint – aber unterwegs nach Süden stellt sich heraus, dass sich die etwa einen Meter kürzere Fock nicht ausrollen lässt, da sich das Fall um das Profilvorstag wickelt. Das Problem lässt sich nur oben im Mast beheben und dafür ist es zu wellig und außerdem schon dunkel, also heißt es entweder umkehren und am nächsten Tag einen zweiten Versuch wagen oder nur mit Großsegel weiter zum nächsten Ankerplatz. Wir entscheiden uns für zweiteres und motorsegeln durch die Nacht, begleitet von Musik aus der Bluetoothbox.
Pünktlich zum Sonnenaufgang kommt Bequia in Sicht und am Vormittag rasselt die Ankerkette direkt vor dem Strand ins vier Meter tiefe, glasklare Wasser. Hier auf Bequia waren wir bereits ein knappes Jahr zuvor und von diesem Ort hat Naia ihren Namen. Eine Bekannte von der Insel heißt Naja, was auf Inuit „kleine Schwester“ heißt. Wir entscheiden uns für die Variante mit i, was polynesisch „Delfin“ und im baskischen „Welle“ bedeutet. Wellen haben wir und auch Delfine sehen wir, sowohl auf dem Weg nach Süden als auch, in Begleitung von Grindwalen, einige Tage später auf dem Rückweg nach Martinique.
Es ist schön, Besuch aus der Heimat an Bord zu haben. Gesprächsthemen wie Job und Wohnung, die uns in den letzten Jahren ziemlich fremd geworden sind, sorgen für Abwechslung und wir sind uns einig, dass wir unser Leben so wie es ist lieben und genießen. Natürlich fehlt einem, dem einen mehr dem anderen weniger, hin und wieder ein geregelter Alltag, ein fester Freundeskreis und die Familie, jedoch alles in allem bereuen wir keine Entscheidung. Auch Franz meint, er kann den Reiz dieses Lebens mehr als nur sehr gut nachvollziehen. Ob er das dauerhaft wolle? Einige Aspekte, wie z.B. Freundschaften und nicht zuletzt ein Bedürfnis nach Sicherheit, machen diese einfache Frage komplexer als angenommen.
Wer den Besuch besonders ins Herz schließt, ist Kira. Sie liebt es, mit und am besten auf dem Franz zu toben und, als die Ohrenentzündung wieder abgeheilt ist, zu schwimmen, planschen und sich aus dem Wasser hoch in die Luft werfen zu lassen, in besonders mutigen Momenten sogar „ohne Auffangen und mit tauchen“. Am Anfang konnte Kira den Namen Franz, speziell die Folge der ersten beiden Buchstaben, nach ihren eigenen Maßstäben nicht gut genug aussprechen, daraufhin hat sie eine direkte Anrede zwei Wochen lang vermieden und immer wieder hat man sie heimlich und leise üben hören: „Wanz, Wanz, Fwanz, Fwanz.“ Irgendwann dann der laute Freudensausruf: „Papa, Papa, ich kann es sagen. Ich kann es! Ich kann es!“ – „Was kannst du“ – „Franz! Franz! Franz!“ Nach drei Wochen dann das große Schluchzen: „Der Franz der soll nicht gehen, der Franz soll immer da bleiben.“ Auch noch zehn Tage nach seiner Abreise ist die Achterkabine für Kira immer noch „Franz‘ Kabine“ und wenn sie mal muss, kommt regelmäßig die Frage: „Darf ich in Franz‘ Klo bieseln?“
Bequia
Bequia ist wunderbar. Damit der Franz nicht sagen muss, er ist nur am Strand und in der Hafenkneipe rumgehangen, wird er eingespannt und gemeinsam montieren wir unsere neuen Handläufe auf dem Vordeck. Am Abend kommt das Gespräch darauf, was Kira irgendwann einmal auf die Frage, was der Papa denn arbeitet, antworten wird. Wir fragen sie am nächsten Tag und ihre Antwort ist „Nichts“. Dann fragen wir sie: „Und was arbeitet der Franz?“ Ihre Antwort ist: „Der hilft dem Papa.“ Ja, wenn man die letzten Tage und Franz Anforderungen an seinen Urlaub zur Grundlage nimmt, sind diese Antworten durchaus nicht ganz verkehrt. Und wenn der Franz nicht da ist und wir am Computer arbeiten, dann schläft Kira meist. Von dem her können wir ihr die Antwort gar nicht übel nehmen. Aber damit wir mit dem Franz nicht nur nichts tun, unternehmen wir tags drauf eine Inseltour auf der Pritsche eines Pick Up Taxis. Es geht zum alten Fort, zum höchsten Punkt der Insel sowie zur „Turtle Rescue Station“. Dort werden immer etwa 80 der vom Aussterben bedrohten Karettschildkröten aufgezogen und, sobald sie groß genug sind, wieder ausgewildert. Somit wird sichergestellt, dass deutlich mehr der Jungschildkröten überleben und sich der Bestand erholen kann.
Irgendwann sind auch die schönsten Tage vorbei und mehrere tropische Wellen drängen uns die Entscheidung auf, zwei Tage früher als geplant zurück nach Martinique zu segeln. Eine dieser Wellen ist gerade nördlich von uns durchgegangen und hat sich in den darauffolgenden Tagen zu Hurricane „Fiona“ entwickelt und eine weitere Welle steht noch östlich von uns. Sie wird aller Voraussicht nach über die Grenadinen fegen. Also ab nach Norden. Wir machen uns, nicht ohne das Problem mit unserer Fock behoben zu haben, auf den Weg. Das kleine Vorsegel stellt sich als die goldrichtige Wahl heraus und unter Fock und gerefftem Groß geht es bei kräftigem Ost- bis Nordostwind in Richtung Martinique. Zwischen den Inseln baut sich etwa eineinhalb Meter Welle auf und wir sind mal wieder begeistert von den Segeleigenschaften unserer neuen ARACANGA. Gegen Mittag am darauffolgenden Tag ankern wir wieder in Sainte Anne und die tropische Welle, die sich in den darauffolgenden Tagen zu Hurrikan Ian entwickelt, zieht südlich von uns über die Grenadinen und beschert glücklicherweise hauptsächlich Regen und nur wenige kräftige Windböen.
Zurück in Sainte Anne sind wir um die Erfahrung schlauer, dass wir nicht nur auf dem Vordeck neue Handläufe benötigen, sondern auch rund um das Cockpit eine flache Reling und Handläufe, damit sich die Kinder, aber auch wir, bei Wind und Welle gut festhalten können. Ansonsten sind wir rundum zufrieden mit Boot und Crew und genießen einen schönen letzten Abend im Restaurant. Franz, schön war’s mit Dir, und natürlich immer wieder gerne! Wer weiß, wo wir in einem Jahr sind…
So, das waren die Geschichten vom Franz. Herzliche Grüße von der ganzen Crew der ARACANGA
Naia, Kira, Riki, Martin
Moin zusammen,
gegen Surfers ear schlichte Ohrenstöpsel aus Silikon verbunden mit einem Band
gruss
Hallo , wir lesen Euren Blog seit Jahren, super, was ihr aus eurem Leben macht! Zu den Ohren: Zwiebel in Scheiben schneiden, mit kochendem Wasser übergießen, in ein Papiertuch wickeln und mit Stirnband oder Mütze auf die Ohren, damit konnten wir so manche Mittelohrentzündung bei unseren Kiddies im Keim ersticken. Ohrenschmerzen sind echt fies.
Liebe Grüße aus Hamburg, Katrin
Hey, schön zu hören, dass ihr schon so lange dabei seit. Das motiviert zum weiter machen 🙂 Ja, das altbewährte Zwiebelsäckchen kennen wir auch.. haben es auch ausprobiert, aber ging gar nicht. Sie ist an die Decke gesprungen, wenn jemand das Ohr berührt hat… Vielleicht ist sie noch zu klein um aufkeimende Schmerzen früh zu erkennen… Doch mit der Ohrenspülung nach dem Schwimmen kommen wir sehr gut zurecht… LG
servus martin, wie immer liest sich dein blog so kurzweilig und erfrischend! mir kommts immer vor wie “nachrichten aus dem paradies”, in denen die träume der daheimgebliebenen landratten gestalt annehmen!
alles gute euch 4….LG aus der heimat!
Ihr habt ganz süsse Kinder! Hat euch das schon mal jemand gesagt? Bestimmt schon tausendmal. Dann eben jetzt noch einmal. Genießt das Leben! Viele Grüße aus D- Land, K&K
Vielen Dank ihr zwei. Wir finden sie auch ganz gut gelungen; jedenfalls die meiste Zeit 😉…