Wieder unterwegs – Sonnenschein und Sturm

Unterwegs im Aysen Fjord
Wieder unterwegs – zwei Caracaras begleiten uns auf der Reling

Wir sind wieder unterwegs. Naja, wir waren unterwegs, zumindest kurz, drei Tage von Puerto Aguirre nach Puerto Chacabuco, bei schönstem Sonnenschein. Jetzt hängen wir hier in Chacabuco fest, der Hafen ist geschlossen und es tobt ein ausgewachsener Sturm. Die Armada, die sämtliche Aufgaben von Küstenwache, Wasserschutzpolizei, Marine und Seenotretter unter sich vereint, hat jegliche Navigation verboten und ehrlich gesagt wollen wir bei den aktuellen Bedingungen auch gar nicht draußen sein. Seit einer Woche sind wir hier, zunächst bei wunderbarem Wetter, 27 Grad und Sonnenschein und hin und wieder einer lauen Bö, aber der Anker hält. Nach drei Tagen nimmt der Wind zu, auf Kanal 16 verkündet die Armada ein Fahrverbot für alle Boote unter 100 Tonnen. Der Wetterbericht sagt 10 Knoten Grundwind, also nicht viel, und 35 Knoten in Böen. Vom Grundwind bekommen wir kaum etwas mit, 90 Prozent der Zeit bestimmen die Böen das Geschehen, die sich durch einen Düseneffekt in unserer Ankerbucht auch über 35 Knoten Windgeschwindigkeit verstärken.

Kurzer Exkurs: Ein Knoten ist eine Seemeile pro Stunde. Eine Seemeile ist die Länge einer Bogenminute auf dem Äquator. Der Äquator misst 40.000km. Eine Bogenminute ist 1/60 Grad. Also entspricht eine Bogenminute 40.000km/(360×60)=1,852 km. Exkurs Ende

Wir bringen einen zweiten ANker aus. Puerto Chacabuco
Als der Wind kurzzeitig etwas nachlässt bringen wir mit dem Beiboot den zweiten Anker aus

Weiter im Text. Am kommenden Tag blasen die Böen mit 45 Knoten und mehr, wir bringen einen zweiten Anker aus. Das Fahrverbot gilt mittlerweile für alle Boote. Am darauffolgenden Tag nutzen wir eine kurze ruhige Phase, um unsere Anker einzuholen und uns längsseits an ein Päckchen aus vier Arbeits- und Fischerbooten festzumachen, die an einer offiziellen, sturmsicheren Boje hängen. Die Besatzungen sind superfreundlich und hilfsbereit und ganz verliebt in Kira und Naia. Wir machen an dem Arbeitsboot längsseits fest, legen doppelt und dreifache Leinen und schon bald knacken die Böen die 50-Knoten-Marke, also knapp 100 km/h. Aber das dicke Wetter steht noch bevor, für Montag sind Böen von über 65 Knoten vorhergesagt, das entspricht Windstärke 12. Eigentlich wollten wir die Tage hier nutzen, Diesel und Lebensmittel zu bunkern sowie unsere Gasflaschen zu füllen, aber abgesehen von einer Einkaufstour gleich zu Beginn haben wir kaum etwas geschafft. Bei diesen Bedingungen wollen wir unsere ARACANGA nicht allen lassen.

EIne heftige Böe mit fliegendem Wasser
Eine Böe fegt mit 50 – 60 Knoten durch das Päckchen an Fischerbooten vor uns

Es ist Montag. Wie angekündigt fegt um sieben Uhr in der Früh die erste orkanartige Böe durch die Bucht und uns aus der Koje. Die ARACANGA legt sich weit auf die Seite, irgendwo in der Pantry poltert ein Topf und im Bad fliegt die Seife durch die Gegend. Wir sind wach, machen Kaffee für die Großen und Kakao für die Leichtmatrosinnen und beobachten die Lage. Wir sind gut vorbereitet, alles an Deck ist verzurrt, die Genua ist abgeschlagen, fünf dicke Vorleinen, einige Springs und drei Achterleinen sichern das Boot. Um neun Uhr meldet die Armada Böen von 66 Knoten, exakt wie vorhergesagt, und einen Wind von bis zu 55 Knoten im 10-Minuten-Mittel. Es kreischt im Rigg und die ARACANGA legt sich trotz ihrer 20 Tonnen Gewicht immer wieder weit auf die Seite. Dann setzt sich plötzlich unser ganzes Päckchen von fünf Booten in Bewegung. Die offiziell sturmsichere Boje beginnt, langsam mit dem Wind zu rutschen. Wir können in diesem Moment nicht viel tun, außer abzuwarten, haben aber sehr viel Freiraum im Lee von uns, es herrscht also keine unmittelbare Gefahr. Zur Not können wir mit unserem Boot das ganze Päckchen drehen, um im Falle des Falles nicht am Strand von den anderen Booten zerdrückt zu werden. Uns aus dem Päckchen zu lösen ist bei diesem Wetter fast unmöglich. Wir haben zwar keinerlei Ambitionen, das Boot zu verlassen, legen aber trotzdem einen Rucksack mit den wichtigsten Dokumenten und ein paar Wechselklamotten für die Kids bereit. Nach ein paar Minuten lässt die Bö nach, das Päckchen kommt nach etwa 50 Metern Drift zum stehen und bleibt auch in den darauffolgenden Böen an Ort und Stelle.

Sturm in Chacabuco. Es werden zusätzliche Bojensteine gelegt
Während des Sturms werden weitere Bojensteine ausgebracht.

Am Steg sammeln sich bereits die Crews unserer Nachbarboote und kommen mit ihrem Beiboot rüber. Als sie ankommen, sind sie bereits von Wind und Welle pitschnass. Unser direkter Nachbar hat einige alte Bojensteine geladen und der Plan ist, diese zusätzlich zur bestehenden Boje zu versenken. Also wird der bordeigene Kran klargemacht, alle helfen zusammen und bei 50 Knoten Wind und mehr wird, jeglichen Arbeitsschutzvorschriften zum Trotz, den eigentlich ausrangierten Bojensteinen ein neues Leben als Retter in der Not eingehaucht. An die schweren Betonklötze werden dicke Taue geknotet und diese dann so gut wie möglich über Bord gehievt. Unsere Aufgabe als ganz außen liegendes Boot ist es, mit Hilfe unseres Motors das mittlerweile fast quer zum Wind liegende Päckchen gegen die Böen zu drehen, so dass der Wind möglichst von vorne kommt, wenn die Betonklötze versenkt werden, was erstaunlich gut funktioniert. Jedes Mal, wenn der Kran einen der ausrangierten Bojensteine anhebt, fegt der Sturm eine Wand aus Krabben, Algen und Schmierfett in unsere Gesichter. Eine Stunde später ist es geschafft, mehrere Tonnen an Bojensteinen sind versenkt, die Schiffe daran zusätzlich gesichert und auf den vorher etwas besorgten Gesichtern der Fischer lässt sich ein Grinsen erkennen. Kalt und trotz Ölzeug nass schlüpfen wir in die Kajüte und machen Frühstück. Den restlichen Tag bläst es weiter mit 50 bis 60 Knoten und darüber, und als der Wind am Nachmittag für zwei Stunden auf etwa 40 nachlässt, fühlt es sich schon fast wie Flaute an. Eigentlich gilt die Bucht als sehr sicher, weswegen die Fischerboote für den Sturm hergekommen sind, aber dieses Wetter war auch für hiesige Verhältnisse ziemlich windig.

Der Holzofen macht es muckelig warm unter Deck

Ein Monat zuvor: Seit unserem Heimaturlaub haben wir einiges an Bord erledigt: Der Holzofen samt Ofenrohr ist installiert und hält uns muckelig warm unter Deck, die Kabinen und Schränke sind so weit wie möglich isoliert. Außerdem ist die Wand zwischen der Pantry und der zum Stauraum verkommenen Mittelkabine zugunsten von mehr Lebensraum unter Deck gewichen, was mit einer großen Ausmistaktion einhergegangen ist. Die Mittelkabine ist somit zu einer Art gemütlichem offenem Wohnzimmer mit Ofen geworden, in dem aber trotzdem noch zwei Personen schlafen können. Während wir an Bord werkeln, besuchen die Kids wieder den Kindergarten in Puerto Aguirre und schmeißen mehr und mehr mit spanischen Vokabeln und Sätzen um sich, und wir alle vier gemeinsam genießen es, zurück an Bord zu sein.

Kira und Naia beim Klettern im Wald
Ein Wochenende in den Bergen. Unterwegs im patagonischen Urwald

Unsere chilenischen Freunde Francisca und Gabriel mit ihren drei Kids fragen an, ob wir Lust haben, ein verlängertes Wochenende mit ihnen auf ihrer Farm am Festland zu verbringen. Klar. Spontan packen wir zwei Rucksäcke und fahren mit der Fähre ans Festland, wo uns Gabriel abholt. Nach ein paar Kilometern auf der Landstraße biegen wir links ab und entlang einer langen Schotter- und Geröllpiste geht es durch die Berge bis zur wunderschön idyllisch gelegenen Farm. Die Farm besteht aus zwei Pferden, einem Hund und zwei Katzen sowie einem Wohnhaus, mehreren Beeten und Gewächshäusern, wo die Familie alles Mögliche an Obst und Gemüse anbaut. Außerdem gibt es unzählige Hektar Wald und Fels, Wildbächen und Wasserfällen, Berg und Tal. Der Strom für das Haus kommt aus einer Turbine im nahegelegenen Fluss, das Wasser ebenso, und jegliche Zivilisation ist viele Kilometer entfernt … Es ist wunderschön, das Leben hier in der Wildnis hat durchaus einige Parallelen mit dem Leben an Bord. Wir verbringen ein wunderbares Wochenende mit unseren Freunden, angeln im Fluss, wandern durch den Wald, trinken Wein und Kaffee und genießen die Tage. Nach vier Tagen in den Bergen geht es dann mit der Fähre zurück nach Puerto Aguirre, um die finalen Vorbereitungen zum Ablegen zu erledigen.

Naia am Steuer
Wieder unterwegs – Naia am Steuer

Und endlich ist es so weit. Lange genug sind wir am Steg in der kleinen, feinen Marina Austral gelegen. Zum Abschied schmeißen wir den Grill an und genießen einen letzten Abend mit einigen Freunden, bevor wir am nächsten Tag die Leinen losmachen. Unser erstes Ziel ist der Aysen-Fjord, genauer genommen die heißen Quellen im Fjord auf etwa halbem Weg nach Chacabuco. Dort wollen wir uns mit unseren Freunden, die wir kurz zuvor auf ihrer Farm besucht haben, treffen. Sie träumen ebenfalls von einer längeren Segeltour und haben ein entsprechendes Boot dazu. Wir baden in den Quellen bis die Haut schrumpelig wird und fallen danach todmüde in die Kojen. Am Tag darauf fahren wir mit den beiden Booten in eine nahegelegene, malerische Bucht und dann weiter mit den Dinghies und Gabriels Kajak den in die Bucht mündenden Fluss hinauf, bis es nicht mehr weiter geht.

Mit dem Kajak im Fluss unterwegs
Die Kinder spielen am Fluss, die großen Kinder gehen auf Flussfahrt

Die Kids spielen am Flussufer und die großen Kinder zerren, barfuß und mangels Badehose in Boxershorts, das Kajak über die Stromschnellen immer weiter flussaufwärts, bis der Fluss wieder befahrbar wird. Es ist Sommer, die Temperaturen klettern jenseits der 20 Grad Marke, da stört es nicht, dass einem im eiskalten Fluss die Füße fast abfrieren. Die Zerrerei lohnt sich, zwar ist der Fluss nur einige hundert Meter befahrbar, bevor die nächsten Stromschnellen den Weg versperren, dafür macht die Abfahrt umso mehr Spaß.

Der Vulkan Macá weist den Weg nach Chacabuco
Kurs Chacabuco. Der Vulkan Cerro Macá weist den Weg

Für unsere Freunde, die nur eine Woche Urlaub zur Verfügung haben geht es am nächsten Tag frühmorgens weiter, während wir ausschlafen und uns dann, an meinem 41. Geburtstag, bei wunderbarem Wetter auf den Weg nach Chacabuco machen, der einzigen „größeren“ Ortschaft in der Nähe am Festland. Hier haben wir eine Straßenanbindung und somit die Möglichkeit, Diesel und Lebensmittel zu bezahlbaren Preisen zu bunkern. Außerdem erwarten wir Besuch, Annika und ihr vierjähriger Sohn werden uns für etwa einen Monat besuchen und mit uns die ersten Meilen nach Süden segeln. Und schlussendlich müssen wir in Chacabuco auch noch den Zoll besuchen, um unser Cruising Permit, sozusagen das Visum für unser Boot, zu verlängern. Aber zunächst passiert relativ wenig, denn bei 50 Knoten Wind lassen wir unsere ARACANGA ungern allein.

Riki, Kira, Martin und Naia bei schönstem Wetter in Chacabuco.
Herzliche Grüße senden die vier ARACANGAs MaRiKiNa

Eine spannende Geschichte aus einer phantastischen Welt – inspiriert von unseren Erlebnissen

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