Seit neun Monaten sind wir in Guatemala. So schön es hier ist, es ist höchste Zeit, weiterzuziehen. November, das Ende der Hurrikanzeit, war unser anvisiertes Datum, die Segel zu setzen und den Rio Dulce zu verlassen. Dass dieses Ziel unrealistisch ist, wird uns, umso klar je länger der Refit unserer ARACANGA dauert. Daher fassen wir den Entschluss, keine Hektik walten zu lassen, sondern zuerst das Boot so gut wie möglich herzurichten und uns erst dann Gedanken über die nächsten, kurzfristigen Ziele zu machen. Kurz vor Weihnachten ist es dann so weit, endlich schwimmt unser Boot wieder. Einige Arbeiten wie der neue Decksbelag sind noch zu tun, Ende Januar sind wir dann wirklich abfahrtsbereit. Eine Woche Testfahrt auf dem Lago Izabal, zurück nach Rio Dulce, finales Verproviantieren und los. Das Ganze natürlich nicht ohne mindestens drei Mal Abschiedsgrillen und diversen letzten Absackern mit Thomas. Der Abschied fällt schwer.
Dann aber wirklich: Anker auf und flussabwärts. Livingston ist die Stadt an der Mündung des Rio Dulce, wo der Fluss ins Meer fließt. Auf dem Weg dorthin fahren wir zunächst von Fronteras bis Cayo Quemado entlang des El Golfete, einem flachen See mit Mangoven- und Schilfufern und sanften Hügeln im Hinterland. Pelikane gleiten wenige Zentimeter über die Wasseroberfläche und je näher wir der Küste kommen, desto mehr Fregattvögel ziehen ihre Kreise am Himmel. Es ist schön, das Boot wieder zu bewegen.
Ein paar Tage ankern wir bei Cayo Quemado, da wir diesen Teil des Flusses bislang nur vom Vorbeifahren kennen. Cayo Quemado ist eine zweigeteilte, geschützte Ankerbucht hinter einer Halbinsel, ähnlich zwei durch einen Kanal verbundenen Seen, die sich in einem weit verzweigten Labyrinth aus Flüssen und Seitenärmen verlieren. Seerosen und Mangroven bestimmen das Bild, dazwischen Vögel, die scheinbar schwerelos über die großen Seerosenblätter laufen und mit etwas Glück sieht man eine Schildkröte auf einem Ast zwischen den Blättern die Sonnenstrahlen genießen.
Wir ankern im äußeren der beiden Seen vor dem ebenfalls Cayo Quemado genannten Dorf. Das Dorf besteht aus wenigen einfachen schilfbedeckten Hütten, die auf Stelzen über die Mangroven gebaut sind. Eine Straße gibt es nicht. Der Weg zum Nachbarn geht per Boot übers Wasser, überhaupt findet das Leben hauptsächlich auf dem Wasser statt. Eine Mama in der traditionellen Kleidung der Maya ist mit ihren Kindern in einer Lancha unterwegs zur Schule, bei den Mangroven steht ein Mann im Einbaumkanu und fischt mit dem Wurfnetz. Eine große, vollbesetzte Lancha mit zwei Außenbordern, der öffentliche Nahverkehr sozusagen, stoppt hier auf dem Weg von Fronteras nach Livingston, auch der lokale „Super“markt ist nur per Boot erreichbar. Es gefällt uns hier, die Ruhe und die Gelassenheit sind ein angenehmer Kontrast zum lauten und hektischen Fronteras.
In der Nähe gibt es heiße Quellen, Höhlen und Wasserfälle, die wir entdecken möchten, bevor wir in Richtung Livingston weiterziehen und offiziell aus Guatemala ausreisen werden.
Die Höhlen und die heißen Quellen sind nicht weit von unserem Ankerplatz entfernt. Wir packen Schwimmsachen, Stirnlampen und was zu trinken ein und düsen mit dem Dinghy wenige Minuten flussabwärts. Am nördlichen Ufer ist eine Anlegestelle, wo wir festmachen und von einem sympathischen alten Mann begrüßt werden. Er zeigt uns die Thermalquelle, die nur durch ein paar Felsbrocken vom Fluss getrennt ist und durch aufsteigende Dampfschwaden und den typischen Schwefelgeruch leicht auszumachen ist. Zunächst möchten wir jedoch die Höhlen sehen, die nur einen kurzen Fußmarsch entlang des Ufers entfernt sind. Es geht eine steile, in den lehmigen Boden gehauene Treppe hinab, dann heißt es Stirnlampen einschalten. Um uns herum schwirren zu Kiras Freude Fledermäuse. Seit der Fledermaushöhle im Nationalpark Los Haities in der Dominikanischen Republik ist sie fasziniert von den Tieren. Die Stille wird nur durch das unregelmäßige „Pling“ eines herabfallenden Wassertropfens unterbrochen. Nach etwa 100 Metern ist Schluss, ab hier muss man durch das Wasser waten und durch enge Löcher kriechen, um tiefer hinein zu gelangen, was mit Flipflops und zwei Kids nicht möglich ist. Ein paar Meter waten wir durch das Wasser, sehen ein paar Fische, dann drehen wir um.
Weiter geht es zur zweiten Höhle. Diese ist deutlich kleiner als die erste, befindet sich allerdings über den heißen Quellen und gleicht somit einem Dampfbad. Nach einigen Metern geht es eine Leiter runter, hier wird es richtig heiß, für Naia zu heiß. Kira klettert runter und zusammen tasten wir uns noch etwa zwanzig Meter weiter, bis ein Felsen den Weg versperrt und wir umdrehen. Patschnass vom Wasserdampf kommen uns die 30 Grad draußen wie eine willkommene Abkühlung vor. Zurück bei den heißen Quellen wird noch einmal ausgiebig gebadet, bevor wir uns auf den Rückweg an Bord machen.
Am nächsten Tag steht dann der Wasserfall auf dem Programm. Mit dem Dinghy müssen wir abermals ein paar Minuten flussabwärts fahren und dann am Südufer in einen Seitenarm einbiegen.
Der Flussarm schlängelt sich durch die Dschungellandschaft, nur hin und wieder sehen wir eine Hütte am Ufer. Dafür sehen wir umso mehr Reiher, Kormorane, Greifvögel und auch ein paar Schildkröten. Wir folgen dem Flussarm ein paar Seemeilen und genießen die Landschaft, Schilf und Mangrovenwurzeln wechseln sich ab, dahinter ein undurchdringbares Dickicht an Gebüsch und Lianen, mächtigen Bäumen und Palmen, Farnen und Bambus. Nach etwa einer halben Stunde sehen wir das Ende des Seitenarms, das Wasser wird glasklar und flach und große Felsbrocken, durch die das Wasser plätschert, versperren den Weg. Ein schilfbedecktes Haus steht am Ufer, Frauen waschen Wäsche im Fluss, ein paar Hunde und Hühner laufen herum und einige neugierige, aber scheue Kinderaugen beobachten uns.
Kira und Naia mit ihren strohblonden Haaren ziehen, egal wo wir hinkommen, immer sofort sämtliches Interesse auf sich. Ein älterer Herr kommt zum Ufer und als wir ihm erklären, dass wir gerne zu den Wasserfällen laufen möchten, bietet er uns an, uns zu begleiten.
Wir binden das Dinghy an der gegenüberliegenden Seite an einen Baum und gemeinsam mit Viktor, wie sich der Alte vorstellt, marschieren wir los durch den Dschungel. Auf dem Weg zeigt er uns essbare Palmsprösslinge und beantwortet unsere Fragen: Nein, Rote Aras gibt es hier nicht, aber Tukane. Und nein, Besucher kommen nur selten hier her, dafür ist es zu weit ab vom Schuss. Nach zwanzig Minuten Fußmarsch durch den Dschungel hören wir den Wasserfall bereits und kurze Zeit später sind wir da. Wegen der Trockenzeit führt er nur wenig Wasser, was uns jedoch nicht stört. Wir geben Viktor etwas Trinkgeld, dann sind wir komplett alleine hier.
Lediglich das Rauschen des Wassers und vereinzelte Schreie von Vögeln durchbrechen die Stille. Wir schlagen unser Lager auf einem großen Stein auf, zur Stärkung gibt es Brot mit Avocado, Banane und Wasser. Dann gibt es kein Halten mehr für Kira. Sieht sie Wasser, muss sie hinein. Dass es kalt ist, stört sie nicht. Schwimmen, klettern, erforschen, die Zeit vergeht rasch und schon bald ist es Zeit, zurück zum Dinghy zu laufen und den Rückweg nach Cayo Quemado anzutreten.
Den kommenden Tag nutzen wir, das Boot seefest zu machen und alles so zu verstauen, dass nichts durch die Gegend fliegen kann. Denn die Mündung des Rio Dulce ist so flach, dass wir ohne fremde Hilfe und viel Schräglage den Fluss nicht verlassen können… dazu gleich mehr.
Am Montag, den 19. Februar ist es dann so weit. Wie fahren die letzten zehn Seemeilen flussabwärts von Cayo Quemado nach Livingston. Der Fluss verengt sich drastisch, die Ufer werden steil und der Dschungel klammer sich an schroffe Klippen. Die unaufgeregte Schönheit des El Golfete wird zur spektakulären Kulisse des Rio Dulce, breite Schilfgürtel weichen schroffen Klippen, Weitblick wird zum Canyon. Steile Felswände ragen auf beiden Seiten empor und die Strömung nimmt zu. Livingston ist ein altes Piratennest ohne Landzugang und der offizielle „Port of Entry“. Wir gehen vor Anker und machen das Dinghy klar, um an Land zu fahren und unsere offiziellen Ausreisestempel zu bekommen. Da unsere Visa um fünf Monate überzogen sind, müssen wir eine saftige Strafe zahlen, was uns jedoch bekannt war. Der Witz dabei ist, dass es genauso teuer aber ungleich aufwändiger gewesen wäre, die Visa offiziell zu verlängern, daher ist es gang und gäbe hier, bei Ausreise die Strafe zu zahlen.
Das letzte Abenteuer, das Guatemala für uns bereit hält, ist die flache Sandbank an der Flussmündung. Es ist klar, dass wir ohne fremde Hilfe dort nicht drüber kommen, daher haben wir zwei Boote organisiert, die uns ziehen: Eines am Masttopp quer zur Fahrtrichtung, bis das Boot etwa 45 Grad Schräglage hat und das andere geradeaus. Da bei soviel Schräglage eine ausreichende Schmierung und Kühlung des Motors nicht gesichert ist, nutzen wir unseren Motor nicht. Bange 30 Minuten später sind wir auf dem Meer. Die Sandbank liegt hinter uns, die Anspannung fällt ab und wir machen uns auf den Weg nach Norden, in Richtung Belize. Wir freuen uns drauf.
Herzliche Grüße von Bord senden die vier ARACANGAS
MaRiKiNa