Puerto Aguirre – irgendwo im Nirgendwo

Übersichtskarte Patagonien mit Puerto Aguirre
Übersichtskarte – Patagonien und Puerto Aguirre

Sicher vertäut liegen wir in der Marina Austral in Puerto Aguirre – irgendwo im Nirgendwo der patagonischen Inselwelt. Uns fällt ein Stein vom Herzen, dass wir trotz der im letzten Blogeintrag beschriebenen Motorprobleme sicher hier angekommen sind. Jetzt können Fehlersuche und Motorreparatur beginnen.

Von Großvätern auf Abwegen und Wasser im Öl

Eine unserer ersten Unternehmungen auf der kleinen Insel führt uns zum lokalen Mechaniker. Er stellt sich als Gerhard vor. „Klingt irgendwie deutsch“, denken wir uns, und unsere Vermutung bestätigt sich. Er erzählt uns, wie sich sein Großvater nach seiner Flucht aus russischer Kriegsgefangenschaft bis nach Italien durchschlägt und von dort aus auf den Weg nach Peru macht. Im chilenischen Valparaiso, wo das Schiff wegen eines Maschinendefekts einen ungeplanten Stopp macht, geht er von Bord und meint, er sei in Peru … „So hat das Schicksal meine Familie nach Chile gebracht“, meint er augenzwinkernd. Schon nach kurzer Zeit verbindet uns eine gute Freundschaft mit Gerhard, seiner Frau Vanessa und deren Tochter Gerdi. „Ich wusste gar nicht, dass meine Tochter so gut englisch spricht“, meint Gerhard auf Spanisch zu uns, als wir Kira und Gerdi lauschen.

Die ARACANGA am Steg in Puerto Aguirre
Die ARACANGA am Steg in Puerto Aguirre

Bei einem Cervecita, hier in Patagonien wird alles mit der Endung -ita verniedlicht, beginnen wir die Fehlersuche am Motor. Als beim Herausschrauben der Einspritzdüsen ein Schwall Salzwasser aus einem der Zylinder läuft, ist uns klar, woher das Wasser in der Ölwanne kommt: nämlich durch den Auspuff, und zwar bei stehendem Motor. Vom Auspuff fließt es durch die Krümmer und Abgasventile zurück in einen oder mehrere Zylinder, von dort tropft es dann ganz langsam durch die Kolbenringe hinunter in die Ölwanne. Der Auspuff der meisten Segelboote ist wassergekühlt. Das Salzwasser, das indirekt die Maschine kühlt, wird im letzten Schritt in den Auspuff eingespritzt. Fließt es von dort aus in die falsche Richtung, landet es im Zylinder, was eigentlich nicht sein kann und nicht passieren darf. Also gilt herauszufinden, wieso das Wasser in die falsche Richtung fließen konnte, denn normalerweise wird das durch einen Schwanenhals mit Belüftungsventil und die Konstruktion des Nassauspuffs verhindert. Ein neuer Nassauspuff steht sowieso auf unserer Liste zu besorgender Ersatzteile, denn das aktuelle Aluminiumteil hat äußerlich einige Korrosionsspuren. Von innen sieht es noch deutlich schlimmer aus, wie wir feststellen, als wir das Teil endlich abmontiert haben. Einen Ersatz finden wir in ganz Chile nicht, deswegen beauftragen wir einen Schweißer am Festland damit, das Ding in Edelstahl nachzubauen. Der korrodierte Nassauspuff kann jedoch nicht alleine für das Wasser im Zylinder verantwortlich sein. Unser zweiter Verdacht ist, dass das Belüftungsventil vom Schwanenhals verstopft ist. Ein Ersatzteil haben wir an Bord. Zu guter Letzt montieren wir den Schwanenhals deutlich höher als zuvor, um sicher zu sein, dass kein Wasser zurückfließen kann.

Arbeiten im Motorraum
Auf Fehlersuche im Motorraum

Was hier, um nicht allzu sehr mit technischen Details zu langweilen, in einem Absatz abgehandelt ist, ist in Wirklichkeit ein Prozess von knapp vier Wochen, Demontagen und Montagen, Fehlersuchen, Frust und Freude. Was zählt, ist das Ergebnis: Die Maschine läuft und schnurrt wieder wie früher und das Risiko, das dasselbe Problem in den nächsten Jahren wieder auftaucht, ist so gut wie ausgeschlossen. Der positive Nebeneffekt ist, dass wir viel über unseren Motor und Marinemotoren im Allgemeinen gelernt haben. Wir sind froh, dass die Maschine wieder läuft, denn gegen einen Neuen eintauschen wollen wir unseren mittlerweile 46 Jahre alten Motor auf keinen Fall. Warum? Zum einen könnten wir uns einen neuen Motor ohnehin nicht leisten, zum anderen kommt ein moderner Motor mit einem Haufen Elektronik, Plastik, Turbolader, elektronischer Einspritzung und mehr … Eine Reparatur nur mit Schraubenzieher und Schraubenschlüssel irgendwo im Nirgendwo Patagoniens ist da kaum mehr möglich und vom Hersteller weder vorgesehen noch gewollt …

Puerto Aguirre

Puerto Aguirre
Puerto Aguirre

Durch die Reparatur unseres Motors verbringen wir deutlich mehr Zeit in Puerto Aguirre als ursprünglich geplant. Daher beschließen wir, den Winter hier zu verbringen und nicht wie ursprünglich geplant 200 Meilen nach Norden nach Puduhuapi zu segeln. Wir packen die Fahrräder aus, erkunden den Ort und die Insel und genießen die Zeit in dem kleinen Dorf.

Puerto Aguirre ist der Hauptort der Insel Huichas. Die etwa 1.000 Einwohner hier lebten einst hauptsächlich vom Fischfang. Heute bestimmen die leider recht zahlreichen Lachs- und Muschelfarmen das Geschäft und die einheimischen Fischer werden mehr und mehr arbeitslos.

Von Lachs auf Antibiotika

Puerto Aguirre
Nur wenige Fischerboote sind übrig

Es tut uns leid, aber an dieser Stelle müssen wir ein paar Worte zum Thema Zuchtlachs loswerden, von dem man auf den ersten Blick meinen möchte, dass er doch eine gute Sache sei. Aber weit gefehlt. Da der Lachs in Patagonien kein einheimischer Fisch ist, bringt er neben den zahlreichen allgemeinen Problemen von Fischfarmen, wie Umweltbelastungen durch Medikamente, Krankheiten, Exkremente (unter den Fischfarmen bildet sich ein teilweise mehrere Meter dicker Teppich aus Kot) und absolut nicht artgerechter Haltung auch noch das Risiko, dass die Fische entkommen können und die Bestände der einheimischen Fischarten bedrohen. Auch verfangen sich regelmäßig Seelöwen oder andere Tiere in den Leinen und Netzen. Hinzu kommt, dass der Zuchtlachs ja nicht nur mit Medikamenten vollgepumpt wird, sondern auch gefüttert werden muss. Das passiert mit Soja, wofür riesige Flächen an Regenwald abgeholzt wird und mit Fischmehl, welches wiederum aus wild gefangenen Fischen hergestellt wird. Somit tragen Fischfarmen in großem Stil zur Überfischung bei, anstatt diese einzudämmen. Illegale Fangflotten ziehen weltweit unglaubliche Mengen an Fisch aus dem Wasser, nur um diesen anschließend zu Fischmehl zu verarbeiten. Das hat drastische Folgen nicht nur für die Natur, sondern auch für den Teil der Weltbevölkerung, der sich keinen Lachs leisten kann, sondern eigentlich davon lebt, was den Lachsen verfüttert wird. Während unserer Zeit in Westafrika konnten wir live mitverfolgen, wie der Preis für Fisch auf dem lokalen Markt explodiert ist, während gleichzeitig illegale Fischmehlfabriken in den Mangroven entstehen.

Kindergarten auf chilenisch

Kira im Kindergarten in Puerto Aguirre
Kindergarten-Abschiedsparty

So, genug davon. Zurück an Bord der ARACANGA. Für diese Saison ist Puerto Aguirre unser letzter Stopp. Wir legen ein paar zusätzliche Festmacherleinen für die kommenden Wintermonate und lernen Dorf und Leute kennen. Mit Kira und Naia unternehmen wir einen Spaziergang zum örtlichen Kindergarten, wo nicht lange rumgefackelt und gleich ein Anmeldeformular auf den Tisch gelegt wird. Der Kindergarten geht von 8.30 bis 16.30 Uhr, Frühstück, Mittagessen und Snack inklusive und obendrein ist er auch noch kostenlos. So etwas wie eine Knappheit an Betreuungsplätzen gibt es hier nicht. Acht Angestellte, von Kindergärtnerinnen über technische Assistenten bis hin zu Köchinnen kümmern sich um die etwa 12 Kinder. Im anderen Kindergarten der Insel sind es sechs Angestellte für sage und schreibe zwei Kinder. Eine halbe Stunde nach betreten des Kindergartens sind Kira und Naia offiziell Kindergartenkinder und wir haben plötzlich so etwas wie einen geregelten Tagesablauf und zum ersten Mal seit Jahren kinderfreie Zeit. Diese nutzen wir, um uns nach den vielen tausend gesegelten Meilen des letzten Jahres etwas um unsere ARACANGA zu kümmern.

Kälte und Kondenswasser

Bevor wir neu isolieren müssen die alten Verkleidungen runter…

Riki konstruiert einen achterlichen Abschluss für unser bislang auf drei Seiten geschlossenes Cockpit, während ich mich der Isolierung unter Deck widme. Das Thema Kondenswasser und Feuchtigkeit haben wir ehrlich gesagt absolut unterschätzt. Die Kälte ist nicht das Problem, unsere in Panama eingebaute Heizung hält uns muckelig warm, gegen das Kondenswasser kommen wir ohne vernünftige Isolierung jedoch mit der besten Heizung nicht an. An sämtlichen kalten Flächen wie z.B. an den Unterseiten der Laufdecks, sitzen aufgrund der Kondensation dicke Wassertropfen. Das blöde ist, dass sich so ziemlich alle Schränke unter den Laufdecks befinden und somit unsere Klamotten, Vorräte, Küchenutensilien, Ersatzteile und so weiter allesamt quasi im Regen stehen. Mit unseren ersten Isolierversuchen sind wir semi-erfolgreich, was unter anderem daran liegt, dass wir hier keine spezielle Isolierung für Boote bekommen. Aber das passende Material ist auf dem Weg. Wenn wir im September von unserem Heimaturlaub zurück auf die ARACANGA kommen, werden wir die Isolierung noch einmal in Angriff nehmen und die Vorsilbe „semi“ dann hoffentlich streichen können.

Heimaturlaub!

Puerto Aguirre
Unterwegs in Puerto Aguirre

Stichwort Heimaturlaub: Wir sind seit zwei Tagen in Deutschland und werden den Sommer hier verbringen. Im September, wenn sich der europäische Sommer und der chilenische Winter dem Ende zuneigen, geht es zurück auf die ARACANGA, um unsere Reise nach Süden fortzusetzen. Aktuell ist es kalt, nass und windig in Patagonien. Immer wieder ziehen Tiefs mit 50 Knoten (knapp 100 km/h) Wind und mehr durch, es ist nicht das Wetter, bei dem man in den Kanälen unterwegs sein möchte. Gegen Oktober, zum patagonischen Frühling, möchten wir die Leinen wieder loswerfen und in Richtung Ushuaia und Puerto Williams ganz im Süden Patagoniens segeln. In der Zwischenzeit planen wir, hier in Deutschland den ein oder anderen Vortrag über unsere bisherige Reise zu halten. Infos hierzu folgen.

Soweit so gut. Herzliche Grüße und vielleicht bis die Tage

Eure ARACANGAs


Eine spannende Geschichte aus einer phantastischen Welt – inspiriert von unseren Erlebnissen

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