Cuba ist kein gewöhnliches Ziel für uns. Zum einen ist es seit langem ein Traum, hier her zu segeln, zum anderen ist Cuba als sozialistisches Land eine komplett neue Erfahrung für uns. Isoliert von der Weltordnung, wie wir sie kennen, ist Cuba kein Ziel, wo man einfach mal hinsegelt und sich umschaut. Cuba braucht Planung und Vorbereitung. Oder, wie es eine unserer ersten cubanischen Bekanntschaften ausdrückt: In Cuba braucht man Zeit, Geduld und Humor. Wir haben alles drei und fühlen uns auf Anhieb wohl.
Wir liegen mit unserer ARACANGA in der Marina von Santiago de Cuba. Es ist eine Marina nach unseren Vorstellungen: Kein Hochglanz, kein Blingbling, manchmal gibt es Strom, manchmal nicht, manchmal gibt es Wasser und manchmal nicht. Jeder hier, wie eigentlich jeder, den wir in diesem Land kennenlernen, ist herzlich, freundlich und hilfsbereit. Es gibt viel Papierkram, viele Regeln und ein paar Einschränkungen, was weniger nach unserem Geschmack, aber kein Problem ist. Schließlich sind wir Gäste hier. Vieles hier verstehen wir nicht oder noch nicht, aber wir fühlen uns wohl.
Zum Beispiel dürfen wir unser Beiboot nicht wie gewohnt nutzen, wir können nicht einfach über die Bucht zur kleinen Insel Granma fahren, sondern müssen die offizielle Fähre nutzen. Wir dürfen auch nicht einfach tiefer in die Bucht nach Santiago fahren und dort an Land gehen. Boot und Beiboot bleiben in der Marina und wollen wir irgendwo hin, müssen wir ein offizielles Verkehrsmittel nehmen. Also los. Santiago ist etwa zehn Kilometer von der Marina entfernt und über unseren Freund Leo, den wir gleich am ersten Tag kennenlernen, organisieren wir ein Taxi. Was dann um die Ecke biegt, lässt unsere Kinnladen runterfallen. Ein knallgrüner Chevrolet aus den 1950er Jahren mit Mini-Maus auf der Seite bestätigt das erste Cuba-Klischee. Die alten amerikanischen Autos aus der Zeit vor der Revolution von Fidel und Co sind allgegenwärtig, Chevys, Plymouth, Cadyllacs, Chrysler, Pontiac und Co. sind Alltagsautos. Das Skurrile ist, dass sich diese Wagen die Straßen mit den Autos des alten amerikanischen Klassenfeindes, nämlich den Sovietmarken Lada, Wolga und Moskowitisch, teilen. Gerade das Straßenbild spiegelt die Geschichte des Landes seit seiner Unabhängigkeit wieder.
Kurze Geschichte
Die Geschichte des Landes ist viel zu lang und zu spannend, um sie in wenige Worte zu fassen. Trotzdem, ein Versuch: Cuba wird 1492 von Kolumbus entdeckt und von den Spaniern ausgebeutet. Havanna wird bald zum zentralen Ort des transatlantischen Handels der Spanier. Nach dem einzig jemals erfolgreichen Sklavenaufstand im Nachbarland Haiti fliehen viele Großgrundbesitzer von dort nach Cuba, die Wirtschaft floriert und Kaffee und Rum werden zu den wichtigsten Exportgütern, an denen das Blut der Sklaven haftet. Zwei Sklavenaufstände 1812 und 1844 scheitern.
Ab 1868 toben mehrere Kriege auf der Insel, die mithilfe der USA eine Scheinunabhängigkeit Cubas bringen, sehr zum Profit der USA. Hier entsteht übrigens auch der berühmte Cuba Libre. Amerikanische Soldaten mixen den Drink um 1900 in einer Bar in Havanna und stoßen mit dem Schlachtruf „Por Cuba Libre“ – auf ein freies Cuba – an. Frei ist das Land nicht wirklich, eher eine Marionette der USA. Es folgen die Diktatoren Machado 1925 und Batista 1933.
1953 unternimmt Fidel Castro den ersten Putschversuch, der zwar fehlschlägt, jedoch den Beginn der Revolution markiert. Castro geht in den Knast, wird begnadigt, geht ins Exil und kehrt 1956 mit Che Guevara, einem Boot voller Waffen und insgesamt 82 Revolutionskämpfern von Mexiko aus zurück. Es folgt ein Guerillakrieg. 1959 nimmt Fidel das Amt des Ministerpräsidenten ein und Cuba wird sozialistisch. 1961 scheitert der von ExilCubanern unternommene und von den USA unterstützte Angriff in der Schweinebucht, daraufhin verhängen die USA ein Handelsembargo, das bis heute in Kraft ist und das Land faktisch isoliert. Cuba richtet sich stark an der Sowjetunion aus und stürzt nach deren Zusammenbruch 1989 in eine große Krise. Um die Krise zu meistern, werden schrittweise Zugeständnisse an die Bevölkerung gemacht, das Land jedoch bleibt sozialistisch. Krankheitsbedingt übergibt Fidel Castro 2006 seinem Bruder Raul die Regierungsgeschäfte. Raul bleibt als Vorsitzender der kommunistischen Partei auch nach seinem Abtreten und nach der Präsidentschaftswahl von 2018 der mächtigste Mann im Staat. Auch aktuell wird Cuba wieder von einer großen Versorgungskrise überschattet, die auch wir an allen Ecken und Enden sehen und spüren.
Auf nach Santiago
Puh, genug Geschichte. Zurück zur Taxifahrt nach Santiago. Fürs Erste möchten wir uns lediglich ein wenig umschauen, etwas reinschnuppern in das neue Land. Einen Kaffee trinken, eine SIM Karte besorgen und die Stadt auf uns wirken lassen. „Zwei Dinge fallen mir sofort auf“, meint Thomas, der mit uns im Taxi sitzt: „Kein Müll und keine Werbung.“ Es stimmt, alles ist sauber, keine Plastikflaschen am Straßenrand und keine Neonreklame für sinnlose Dinge. Angenehm. Wir steigen im Zentrum aus und mit unseren beiden blonden Mädels im Schlepptau ist das meistgehörte Wort an diesem Tag und während unserer ganzen Zeit in Cuba „Linda“ – süß, schön, hübsch. Wie immer sind Kira und Naia Tür- und Toröffner und so bekommen wir auch gleich am ersten Tag eine Einladung zum Kindergeburtstag.
Über den zentralen Platz schlendern wir in Richtung Fußgängerzone. Die Zeit scheint in vielen Bereichen wie stehengeblieben, ob es die Elektroinstallationen an den Straßen sind, die Gebäude im Kolonialstil, mit vereinzelten, sozialistischen Charme versprühenden, Plattenbauten dazwischen, oder eben das Straßenbild.
Wir planen, etwa einen Monat in Cuba zu verbringen, da danach die Hurrikan-Saison so langsam beginnt und wir im Juni für drei Wochen von Guatemala aus nach Hause nach Deutschland fliegen wollen. Für diesen Monat möchten wir uns, wie wir es in den meisten Ländern machen, eine lokale SIM Karte besorgen. Also auf zu Etecsa, dem staatlichen Telefon- und Mobilfunkanbieter. „Alles ausverkauft“, heißt es. Selbst hier ist die Krise zu spüren. Auf der Straße werden wir fündig und für 35 Dollar bekommen wir „secondhand“ SIM Karten. Dollar sind überhaupt sehr beliebt und man spart sich eine Menge Geld, Dollar auf der Straße in Pesos zu tauschen anstatt diese am Automaten abzuheben. Die Inflation ist stark, daher bietet es sich an, immer nur einen Betrag zu tauschen, den man in absehbarer Zeit ausgeben wird. Auf der Straße bekommen wir etwa 180 Peso für einen Dollar, am Automaten nur etwa 125. Auf der Insel St. Martin haben wir vorsichtshalber schon ein paar Dollar abgehoben, um in Cuba gut über die Runden zu kommen.
Wir trinken noch einen sehr leckeren Cubanischen Kaffee in einem Café, das mit „DDR unter Palmen“ ganz treffend beschrieben ist, dann ist es auch schon Zeit, zurück zum Taxi zu gehen. „Unser“ Taxifahrer, mit dem wir in den nächsten Tagen noch öfter unterwegs sein werden, wird immer von seiner Frau begleitet, die auf der durchgehenden vorderen Sitzbank in der Mitte sitzt. „Wie nett“, denken wir uns. Den wahren Grund erfahren wir am nächsten Tag, als wir rechts ran fahren, die Plätze getauscht werden und für etwa einen halben Kilometer der Taxifahrer Beifahrer ist und seine Frau den Wagen lenkt. Hinter der nächsten Kurve und außerhalb der Sichtweite der gerade passierten Polizeikontrolle wird zurück getauscht. „Er hat zurzeit keinen Führerschein“. Aber nicht nur der Führerschein ist ein Problem, sondern auch der Treibstoff. Sprit und Diesel sind kaum verfügbar und wieder einmal nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Der Liter kostet dort ein vielfaches. Im Hafen ist Diesel verfügbar, und zwar für 25 Pesos der Liter. Das finden wir alles andere als gerecht und beschließen, am nächsten Tag für unseren Taxifahrer etwas Diesel aus der Marina zu schmuggeln. Also holen wir ein paar Kanister Diesel für die Boote und bringen zwei davon, die wir unauffällig im Rucksack durch das Tor schmuggeln können, nach draußen. Hier wird kontrolliert, was aus der Marina raus gebracht wird und der Weg geht nur durch ein bewachtes Treppenhaus. Rucksäcke jedoch werden nicht durchsucht und natürlich weiß jeder, dass unerlaubterweise einiges auf der anderen Seite des Tores neue Besitzer findet. Der Hafenmeister bekommt etwas Spielzeug und Klamotten für seinen Sohn sowie eine USB-Powerbank, denn Stromabschaltungen und -ausfälle gehören hier zur Tagesordnung. Schwieriger ist es, unsere alten Solarpaneele, die wir extra für Cuba aufgehoben haben, aus der Marina zu bekommen. Das geht nur über den Sicherheitsmann vom angrenzenden Hotel, der die drei Paneele über den Zaun entgegennimmt und dann nach draußen zu unserem Freund Leo bringt. Leo ist der Papa von Alessandro, der am nächsten Tag fünf wird und zu dessen Geburtstag wir eingeladen sind. Er lebt mit seiner Familie auf der kleinen Insel Granma.
Kindergeburtstag
Am nächsten Mittag holt Leo uns ab und mit der Fähre setzen wir über nach Granma. Das Dinghy dürfen wir nicht nutzen, was deutlich einfacher gewesen wäre, die Fährfahrt selbst ist jedoch schon ein Erlebnis. Die Fähre ist ein rechteckiger Ponton mit kleinem Ruderhaus, einem Planendach, einer Reling außenrum und einem 100-PS-Dieselmotor. Sie ist voll mit Menschen in ausgelassener Stimmung, hier und da kreist die ein oder andere Flasche Rum, die hier allgegenwärtig ist, und typisch Cubanische Musik von Buena Vista Social Club, ebenso allgegenwärtig, tönt übers Deck.
Auf der kleinen, fast runden Insel Granma, die nur etwa 300 Meter im Durchmesser misst, gibt es eine gepflasterte Straße rundherum, die von vielen kleinen Häusern gesäumt wird. Es gibt keine Autos. Hier scheint die Zeit noch einmal langsamer zu laufen und wir sind auf Anhieb begeistert von dem kleinen Idyll. In Leos Haus wohnen er mit seiner Frau und ihrem Sohn sowie seiner Mama. Das Haus ist einfach, etwas renovierungsbedürftig und urgemütlich.
Drei Bekannte von Leo machen Musik, die Kinder Spielen Fußball vor dem Haus auf der Straße und die Party ist gleichermaßen für Jung und Alt. Naia macht Mittagsschlaf im Ehebett, die Damen der Party befächern sie mit Luft, Kira spielt mit den Luftballons und wir sitzen in der kleinen Außenküche, trinken Rum und genießen. Auf einem Topf über dem Feuer brodeln Gemüse und Fisch, die typischen Lieder wie „Chan Chan“ und „Hasta Siempre Comandante Che Guevara“ schallen durchs Haus, es wird Salsa getanzt, gesungen und viel gelacht. Wir sind verzaubert von der Stimmung und könnten, wären da nicht zwei müde Kinder, die ganze Nacht so weiter machen. Zurück an Bord, es ist mittlerweile elf Uhr, trinken wir, weil es gerade so gut schmeckt, noch einen Absacker, dann rufen die Kojen.
Wir möchten das Grab von Fidel, die Zigarrenfabrik die Rumfabrik und den Platz der Revolution in Santiago besuchen, haben aber Pech: Am Friedhof wird renoviert, so dass wir das Grab nur von der Ferne sehen und die Zigarrenfabrik ist für Besucher nicht geöffnet. Das Rummuseum ist nur ein kleiner Raum, der leider nur wenig interessantes bietet und am Platz der Revolution ist das Besucherzentrum ebenfalls geschlossen. Macht nix. Die Fahrt mit dem alten Chevy und dem geschmuggelten Diesel allein ist den Ausflug schon wert, wir schlendern noch etwas durch die Stadt und das Bier im Zentrum Santiagos macht für Zigarrenfabrik und Co wett.
Wir bleiben acht anstatt der geplanten vier Tage in Santiago und genießen die Zeit. Leider ist kaum Wind, trotzdem ist es Zeit, weiter zu ziehen. Entlang der Südküste und durch die Inselkette der Jardines de la Reina – den Korallengärten der Königein – möchten wir nach Cienfuegos segeln. Dazu aber mehr im nächsten Blogeintrag.
Viele liebe Grüße senden MaRiKiNa
Pingback:Entlang der Südküste Cubas - ahoi.blog
Cuba ist… speziell 🙂 Super schöner Beitrag – ich habe das Land genau gleich kennengelernt: Sehr bürokratisch und kompliziert, aber auch wunderschöne Natur, super nette Leute und frische Früchte das ganze Jahr 😊
Was ein toller Bericht. Herzlichen Dank dafür!
Viele Grüße Rilana und Crew
Hi Rilana, schön von Euch zu hören. Alles gut bei Euch? Viele liebe Grüße von uns Vieren
danke Euch für den erfrischenden Bericht, wie immer lesenswert!
Gerhard
Das ist schön zu lesen, danke! Viele Grüße!
Hey MaRiKiNa…
Du solltest wirklich alles mal in einem Buch zusammenfassen!!! Ich lese eure Beiträge…..nein…ich ziehe mir sie regelrecht rein, 😜..und freue mich schon sehr euch im juni wieder drücken zu dürfen…LG Uli u Petra
Hi ihr Lieben, wir freuen uns auch schon total auf Euch alle! Buch? Ja, auf jeden Fall. Irgendwann. Erstmal persönlich erzählen! Bis bald! Liebe Grüße!
Ich beneide Euch um Kuba. Vor allem um die unglaublichen Menschen, die aus allem das Beste machen. Das scheint sich nicht geändert zu haben. Wunderbar!
Ahoi Lore
Ja, Cuba war in jeder Hinsicht speziell und und toll und unvergesslich. Eine tolle Erfahrung. Liebe Grüße!
Cuba und die Cubaner sind toll – wir sind 2 Wochen mit Mietwagen durchs Land gefahren und haben auch (fast) nur nette Leute kennengelernt 🙂
Das unterschreibe ich zu hundert Prozent 😊
Das ist schön!
Das stimmt, Cuba war wirklich toll. Wir erwischen uns schon manchmal bei dem Gedanken, nach der Hurricanesaison noch einmal hin zu segeln… Viele liebe Grüße!