Patagonien – von Walen, Delfinen und Pinguinen

Naia in der Abenddämmerung, Patagonien
Naia balanciert auf einem Baumstamm in der Abenddämmerung

Im Norden liegt die Insel Chiloe achteraus, und die ARACANGA schaukelt sanft unterhalb einer beeindruckenden Andenkulisse im geschützten Inneren der Inselgruppe Juan Yates. Das Panorama ist atemberaubend, rings um unser Boot bilden kleine Inselchen und flache Steinhäufen einen rundum geschlossenen und sehr geschützten Ankerplatz. Wir liegen sicher an einer dicken Leine, die zwischen zwei Inselchen gespannt ist. Das Wetter meint es gut mit uns, ein stabiles Hochdrucksystem beschert uns für ein paar Tage blauen Himmel, Windstille und Sonnenschein, nicht alltäglich in Patagonien und perfekt für ein Feuerchen auf den Felsen. Wir finden massenhaft trockenes Treibholz, Kira und Naia rösten Stockbrot über den Flammen und ein Stück Rind, das wir noch im Kühlschrank hatten, brutzelt über der Glut. Daneben bäckt auf einem heißen Felsen ein Brot und mit einem kühlen Bier in der Hand blicken wir auf die Lagune, wo Pinguine, Kormorane und Delfine ihre Runden drehen und nach Fisch jagen.

Weißbauchdelfin, Juan Yates, Patagonien
Sobald wir ins Dinghy steigen kommen die Weißbauchdelfine

Ein besonders mutiger Magellanpinguin watschelt nicht weit von uns entfernt über die Felsen, bis wir jedoch die Kamera greifen, ist er bereits im Gebüsch verschwunden. Die Weißbauchdelfine begleiten unser Dinghy zwischen ARACANGA und Felsen und warten nur darauf, mit uns zu spielen. Sobald wir ins Beiboot steigen, sind die neugierigen Tiere zur Stelle, um mitzuschwimmen und um uns nass zu spritzen. Die etwas kleineren und hier im Süden Chiles endemischen Pearson-Delfine sind ebenso neugierig wie ihre Verwandten, in fast jeder Ankerbucht werden wir von einer kleinen Schule dieser Tiere begrüßt. Allerdings sind sie etwas schüchterner und nicht so verspielt wie die Weißbauchdelfine, sie kommen lediglich kurz vorbei, um uns zu begutachten, und ziehen dann wieder ihres Weges.

Einfahrt in den Kanal Refugio, Patagonien
Die Einfahrt in den Kanal Refugio

Juan Yates ist phänomenal, hier passt einfach alles. Aber ganz egal, welche Bucht wir ansteuern, sie haben fast immer zwei Dinge gemein: Die atemberaubende Schönheit und die Einsamkeit. Andere Boote haben wir bereits seit einiger Zeit keine mehr gesehen, lediglich der ein oder andere Fischer kreuzt hin und wieder unseren Weg. Von TicToc kommend legen wir einen kurzen Stopp in der kleinen Ortschaft Raul Marin ein, danach geht es weiter durch den Kanal Refugio nach Süden. Eine Landzunge bietet einen sicheren Ankerplatz und Schutz vor dem vorhergesagten Nordwind und nach zwei Versuchen liegen wir sicher vor Anker und zusätzlich mit zwei langen Heckleinen achteraus an zwei Bäumen am Ufer gesichert.

Santo Domingo, Kanal Refugio, Patagonien
Santo Domingo, im Hintergrund die ARACANGA am Ankerplatz

Die Bucht nennt sich Santo Domingo, es gibt eine verlassene Siedlung und zwei bewohnte Häuser, ansonsten weit und breit nur Natur. Juan Carlos, der Landbesitzer wohnt in einer der Hütten und eine süddeutsche Familie mit mehreren Kindern in dem anderen Haus. Das Leben hier ist einfach, hart und entbehrungsreich. Als wir mit einer heißen Tasse Tee am warmen Ofen bei der Familie sitzen und uns unterhalten, stellen wir jedoch wieder einmal fest, dass Reichtum nichts mit Geld und Luxus zu tun hat, sondern vielmehr mit Freiheit und einem Quäntchen Mut, sich diese zu nehmen. Kira und Naia spielen mit den anderen Kindern und wir verabreden uns wieder für den nächsten Tag.

Martin, Kira, Naia, Riki, Refugio, Patagonien
Mit dem Dinghy erkunden wir die Gegend

Mit dem Dinghy erkunden wir die Bucht, den darin mündenden Fluss und den dahinterliegenden See. Wasserfälle fallen aus mehreren hundert Metern Höhe herab und lassen uns daneben sehr klein und zerbrechlich wirken. Den restlichen Tag verbringen wir gemeinsam in Juan Carlos Hütte, der seit über 40 Jahren einen Großteil seiner Zeit hier lebt. Auch er bestätigt, was wir am Vortag festgestellt haben: „Ich hatte alles in meinem Leben, sehr viel Geld, Häuser und Wohnungen, Firmen und Angestellte, große Autos und Hubschrauber. Aber am glücklichsten bin ich hier.“ Beim Blick aus dem Fenster auf die spektakuläre Kulisse des Kanal Refugio können wir das gut verstehen.

Nach zwei Nächten bei Santo Domingo fahren wir weiter nach Süden. Eine Schule Orcas kreuzt unseren Kurs und kurz darauf kommt uns mit etwas Abstand eine Buckelwalkuh mit Kalb entgegen. Ein großes Tiefdrucksystem ist im Anmarsch und wir suchen uns eine sichere Ankerbucht für ein paar Nächte, um die vorhergesagten 50 Knoten Wind abzuwettern. Die Caleta 13 de Diciembre ist unser Ziel. Sie liegt in einem nicht vermessenen Teil der Kanäle, dementsprechend vorsichtig und langsam nähern wir uns dem Ankerplatz. Sie ist eng und außer einer Untiefe bis zu den Felsen am Ufer tief, wie wir vorab mit dem Beiboot ausloten. Somit können wir uns weit ins Innere der Bucht vor Buganker und drei Landleinen legen. Hier fühlen wir uns sicher vor jedem Unwetter und blicken dem bevorstehenden Tiefdruckgebiet entspannt entgegen. Während der Sturm am nächsten Tag tobt und kräftige Böen über unsere Köpfe hinwegziehen, liegen wir so geschützt und sicher, dass wir außer Regen nichts, rein gar nichts davon mitbekommen. Nicht einmal unser Windgenerator dreht sich. Lediglich wenn wir aus unserem Cockpit ans Ende der Bucht spicken sehen wir, wie sich die Bäume biegen und die weißen Schaumkronen auf den vorbeirollenden Wellen.

Orcas in Patagonien
Eine Schule Orcas kreuzt unseren Weg

Als sich das Wetter drei Tage später beruhigt hat, holen wir die Leinen und den Anker ein und ziehen weiter. Eine etwa 40 Seemeilen entfernte Bucht im Kanal Puyuhuapi ist unser Ziel. Bis wenige Meilen vor unserer Ankerbucht haben wir bestes Wetter, als plötzlich Böen aufkommen und in Zusammenspiel mit der relativ starken Tidenströmung eine kurze, steile Welle aufbaut, gegen die wir eine halbe Stunde später nicht mehr ankommen. Das Boot wird hin und her geworfen, stampft sich in den Wellen fest und es geht nichts mehr. Wir drehen ab nach Puerto Cisne auf der anderen Seite des Kanals. Dort finden wir einen Ankerplatz vor, der deutlich besser geschützt ist als zunächst angenommen. Dicke Bojen für die Fischerboote liegen in der Bucht und uns wird per Handzeichen mitgeteilt, dass wir gerne an einer solchen Boje festmachen dürfen, was wir dankend annehmen, denn zum Ankern reicht der Platz kaum aus. Trotz seiner nur etwa 2.000 Einwohner ist Puerto Cisne eine Art Provinzhauptstadt und Drehkreuz der Region. Daran lässt sich gut ablesen, wie dünn die Gegend hier besiedelt ist. Wir bleiben zwei Nächte und nutzen die Gelegenheit, unsere Dieselvorräte am lokalen Fähranleger wieder aufzufüllen.

Sichere Ankerbucht, Patagonien
Vor Buganker und mit drei Landleinen in einer geschützten Bucht fühlen wir uns sicher

Hier im kalten und windigen Süden geht das Leben auf dem Boot mit einer ständigen Grundanspannung einher. Der Kopf kommt kaum zur Ruhe, was äußerst anstrengend und zehrend ist, er ist permanent am arbeiten und rechnen: Geschwindigkeit und Distanz zur nächsten sicheren Ankerbucht, Windrichtung und Windgeschwindigkeit, Tidenhöhe und die damit einhergehende Strömungsrichtung und nicht zuletzt Dieselvorräte. Der Motor ist unerlässlich hier und auch unsere Heizung, die mittlerweile öfter und länger läuft, läuft mit Diesel. Dazu kommt die permanente Hoffnung, dass nichts Essentielles kaputt geht. Das allermeiste können wir zwar ohne fremde Hilfe reparieren, eine im falschen Moment streikende Maschine kann hier jedoch schnell gefährlich werden. Die Bedingungen im Süden sind anders als in den Tropen, trotz moderner Wettervorhersagen bleibt immer eine gewisse Unberechenbarkeit, innerhalb von Minuten kann sich das Wetter hier ändern. Eine gegen alle Windrichtungen und -stärken geschützte Ankerbucht bietet eine willkommene Auszeit für den Kopf.

Kira und Naia am Steinstrand, Gaviota, Patagonien
Gaviota ist wunderschön, wird bei starkem Nordwind aber von Williwaws heimgesucht

Cisne ist gegen Südwind gut geschützt, was für die nächsten zwei Tage vorhergesagt ist. Sobald der Wind jedoch auf Nord oder Nordwest dreht, was oft mit Sturm einhergeht, gibt es in Cisne keinen sicherer Ankerplatz. Daher machen wir uns auf den Weg weiter nach Süden. Das Wetter ist ruhig, und für eine Nacht bleiben wir am südlichen Ende des Kanal Puyuhuapi in der wunderschönen, zu allen Seiten geschlossenen Ankerbucht Gaviota vor Anker. Die Kids genießen den Nachmittag am Strand, sammeln Steine, Muscheln und Federn und die Sonne scheint warm vom Himmel. Die Bucht hat steil abfallende, blanke Felsen im Norden, an denen sich bei schlechterem Wetter katabatische Winde bilden können, Williwaws genannt. Bei der aktuellen, ruhigen Wetterlage besteht kaum Gefahr, bei Sturm jedoch werden diese Fallwinde stark und gefährlich, die Böen können schnell 50 Knoten und mehr haben und fallen quasi von oben auf das Boot herab. In den nächsten Tagen jedoch soll das Wetter nicht so ruhig wie im Moment bleiben, daher ziehen wir am darauffolgenden Morgen weiter.

Puerto Aguirre, Patagonien
Puerto Aguirre von Mirador aus gesehen

Unser nächstes Ziel ist Puerto Aguirre, ein kleiner Fischerort und die einzige Marina weit und breit. Es ist die zweitsüdlichste Marina der Welt, nur der berühmte Micalvi in Puerto Williams liegt südlicher. Für ein paar Tage wollen wir hier am Steg liegen und das nächste angekündigte Tiefdruckgebiet hier über uns hinwegziehen lassen. Eine französische Familie mit drei Kindern, die einzige andere Segelfamilie weit und breit, hat uns angeschrieben und gefragt, ob wir uns treffen möchten. Wir kommen einen Tag vor den Franzosen an und genießen es, am Steg zu liegen und Dusche und Waschmaschine zu nutzen. Wir wandern den Hügel hinauf zum Aussichtspunkt Mirador, von wo aus wir eine ganz andere Perspektive auf die umliegenden Inseln und eine wunderbare Weitsicht haben.

Chamalo und ARACANGA am Steg
Chamalo und ARACANGA in der Marina Austral

Am Tag darauf legt die französische Yacht Chamalo neben uns an und die Kinder werden ganz blass vor Neid, als sie die Farbe des Bootes sehen: Pink! Die drei Kids an Bord sind zwei, vier und sechs Jahre alt und mit einem Schlag ist es vorbei mit der Ruhe in der Marina Austral, die fünf Kinder toben und spielen und auch Jaime, der Betreiber der kleinen Marina, hat seinen Spaß daran. Spontan lädt er am Abend zum Grillen ein und da jeder die gleiche Idee hat, einen zwei Liter Tetrapack Wein Marke Gato mitzubringen, wird es ein langer, feucht-fröhlicher Abend.

Blick über die Inseln und Kanäle Patagoniens
Der Blick von Puerto Aguirre nach Süden…

Die nächsten Tage erkunden wir die Insel und vor allem die Spielplätze der Insel, erledigen ein paar Kleinigkeiten an Bord wie z.B. den Wasserkreislauf der Heizung und den Kühlwasserkreislauf der Maschine über einen Wärmetauscher zu verbinden, wir nehmen die Warmwasserversorgung an Bord in Angriff und isolieren die Fenster unserer ARACANGA. Man merkt, dass der Winter im Anmarsch ist, es wird kälter und aufgrund des vielen Kondenswassers feuchter an Bord. Wir versuchen, so gut wie möglich die Kältebrücken an Bord zu minimieren. An den kleinen Fenstern bringen wir mit doppelseitigem Klebeband stabiler Plastikfolie eine Art Doppelverglasung an, was ausgezeichnet gegen Kondenswasser schützt, vor die großen Scheiben kommen jeden Abend passgenau zugeschnittene Isomatten, ebenso auf die Luke in der mittleren Kabine. Morgens hat es in der Kajüte je nach Wetter zwischen 4 und 10 Grad, draußen liegt morgens der Nebel auf dem Wasser und die ersten Male sind unsere Decks gefroren. Die Heizung funktioniert glücklicherweise gut und verbraucht deutlich weniger Diesel als angenommen, so dass die Temperaturen unter Deck angenehm aufgeheizt sind, bis morgens der erste Kaffee und Kakao fertig ist.

Blick über die Kanäle von Patagonien
… und nach Norden

Die Tage in Puerto Aguirre vergehen schnell, ein Tiefdruckgebiet fegt mit 45 Knoten über uns hinweg, wir feiern Naias dritten Geburtstag und am Tag darauf machen wir uns auf die letzten Etappen nach Süden für diese Saison. In ein paar Tagen wollen wir unseren ersten Gletscher der Reise sehen: den San Rafael Gletscher.

Viele liebe Grüße von Bord senden die vier ARACANGAs MaRiKiNa


Eine spannende Geschichte aus einer phantastischen Welt – inspiriert von unseren Erlebnissen

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