Adios Panama
Wir holen den Anker auf und ziehen damit eine ganze Rolle völlig verknoteter und verhedderter Angelschnur an Deck. Dann geht es unter Maschine aus dem Labyrinth aus Fischerbooten, Festmachertonnen und Fahrwassertonnen heraus, bevor wir das Großsegel setzen. Der Wind kommt wie für uns gemacht aus Norden und mit sechs Knoten Bootsgeschwindigkeit ziehen wir nach Süden, heraus aus dem Golf von Panama und auf den weiten Pazifik. High Five, es geht los! 3.000 Seemeilen bis zur Osterinsel liegen vor uns, wir rechnen mit etwa 25 Tagen für die Überfahrt.
Regen und Gegenwind
Nach einem knappen Tag dreht der Wind von Nord auf Süd-West und kommt somit genau aus der Richtung, in die wir wollen. Außerdem beginnt es zu regnen. Und zu regnen und zu regnen und zu schütten, es scheint gar nicht mehr aufzuhören. Nun ja, wir haben ja damit gerechnet, dass wir zumindest bis zum Äquator Gegenwind und ein Allerlei an Wetter haben werden.
Leider regnet es nicht nur draußen, sondern auch in unserer Bugkabine. Dort tropfen das Regenwasser und das überkommende Salzwasser fleißig durch die Dichtung der Luke und durchnässen die Matratze. Zwar schläft während der Überfahrt niemand in der Bugkabine, da es dort viel zu schaukelig ist, ärgerlich ist es trotzdem, denn eine in Salzwasser gebadete Matratze wird immer klamm bleiben. Zusätzlich kommt noch Wasser irgendwo durch die Relingstützen oder die Fußreling, wo genau können wir allerdings nicht lokalisieren, wir sehen nur die kleinen Rinnsale unter Deck, wie sie hinter der Verkleidung rauskommen und tröpfchenweise über den Fußboden laufen. Ärgerlich, gerade jetzt, wo wir ins Kalte segeln wollen. Auf der Osterinsel werden wir erstmal auf Lecksuche gehen müssen.
Mühsam arbeiten wir uns Seemeile für Seemeile nach Süden, jede Meile müssen wir uns erkämpfen und erarbeiten. Das Boot liegt permanent etwa 20 Grad auf der Seite, kommt eine Welle seitlich angerauscht auch mal 30 Grad, Wind und Strömung sind gegen uns und zu allem Überfluss bildet sich nördlich von Panama auch noch ein großes Tiefdruckgebiet, das sämtliche Luftmassen nach Norden absaugt und die Bedingungen für uns somit nochmals verschlechtert. Begleitet werden wir von einigen Tölpeln, die uns tagsüber mit ihren Flugkünsten beeindrucken und die Nächte auf unserer Reling verbringen… von wo aus sie uns fleißig das Deck vollkacken. Zusätzlich wird es kalt, zum ersten Mal seit langer, langer Zeit tragen wir lange Klamotten und suchen für nachts die Bettdecken raus. Die ersten Tage dieser Überfahrt sind nicht gerade das, was wir uns unter einer tropischen Pazifiküberfahrt so vorstellen.
Von Wetterberichten, Starlink und Inreach
Der Dauerregen und die starke Bewölkung sorgen dafür, dass wir keine Wetterberichte über Starlink herunterladen können. Erst, als nach den ersten paar Tagen das Wetter etwas trockener wird und die Bewölkung nicht mehr ganz so dicht ist, können wir eine Verbindung herstellen und Wetterberichte herunterladen. Glücklicherweise haben wir neben Starlink, das zwar eine ganz nette Sache ist, aber als Sicherheits- oder gar Notfallkommunikationsmittel völlig unbrauchbar ist, ein Iridium Satellitentelefon und ein Garmin Inreach an Bord. Das Satellitentelefon ist nicht aktiviert, das Garmin Inreach hingegen, das ebenfalls über das Iridium-Satellitennetzwerk funktioniert, läuft durch und versorgt Familie und Freunde daheim mit unserer aktuellen Position, außerdem können wir damit über Kurznachrichten kommunizieren und sehr rudimentäre Wetterberichte herunterladen. Starlink und Inreach sind für uns eine gute Kombination aus Kommunikation für Alltag und Notfall. Starlink versorgt uns mit Internet, benötigt allerdings bei Seegang etwa eine Stunde, um eine Verbindung herzustellen, das Inreach kann zwar nur Kurznachrichten und Notfallkommunikation, dafür ist es sehr viel verlässlicher und in einem Notfall können wir es mit in die Rettungsinsel nehmen.
Soweit möglich checken wir einmal am Tag das Wetter für die kommenden Tage und es ist jedes Mal das gleiche: Übermorgen wird es besser, übermorgen dreht der Wind, ab übermorgen müssen wir nicht mehr gar so mühsam kreuzen. Dann ist es übermorgen und der Wetterbericht sagt wieder das Gleiche: übermorgen wird es besser. Es ist frustrierend. Uns befallen Zweifel, ob diese Tour nach Süden mit den Kids die beste Idee ist. Die Einzigen jedoch, die völlig unbeeindruckt sind und denen all das nichts auszumachen scheint, sind die Kids. Sie sitzen am Boden, kümmern sich nicht um Wind, Wetter, Schräglage, Zeit und Raum und spielen. Urlaub, Arzt, Höhle bauen, Kinderküche und Tiptoi sind die Lieblingsspiele zur Zeit. Und natürlich basteln und malen.
Von Fischerbooten und -bötchen
In den Nachtwachen ist nicht viel los, seit wir aus dem Golf von Panama raus und etwas weg vom Festland sind, haben wir kein anderes Boot mehr gesehen, weder auf dem AIS noch als Licht am Horizont, daher sind wir auch mit den Nachtwachen etwas lockerer und dösen im Halbstunden-Rhythmus unter Deck. Wir sind irgendwo zwischen Kolumbien, Ecuador und Galapagos. Dann der Schreck kurz vor Sonnenaufgang: Ein Flutlicht scheint von oben durch die Fenster direkt in den Salon. Innerhalb von Sekunden sind wir an Deck und sehen ein etwa 30 Meter langes Fischerboot, das hell beleuchtet mit nur wenigen Metern Abstand hinter uns vorbei zieht. An Deck keine Regung und auch kein Ausweichmanöver. Das war knapp, der Fischer hat wahrscheinlich ebenso wie wir gedöst. Er hatte aber auch kein AIS, sonst hätten wir ihn früher gesehen und unser AIS-Alarm hätte angeschlagen. Das war eine sehr eindrückliche Warnung, ab jetzt gehen wir wieder ordentlicher Nachtwachen.
In den nächsten Tagen sehen wir mitten auf dem Ozean mehrmals kleine, offene Fischerboote von sechs bis acht Metern Länge, angetrieben von einem Außenborder und mit zwei bis drei Mann Besatzung. 200 Seemeilen (370 Kilometer!) Von Ecuador entfernt kommt ein solches Boot auf uns zugefahren, die Crew winkt und ruft „Tienes agua?“ – habt ihr Wasser? Klar, kein Problem. Sie reichen uns in einem langen Käscher eine leere fünf Liter Flasche herüber, die wir ihnen mit Trinkwasser auffüllen. Ein paar nette Worte und eine volle Flasche Wasser später ziehen sie winkend wieder ab und sind nach wenigen Metern zwischen den Wellenkämmen verschwunden.
Für uns ist es unmöglich, solche Fischerboote bei Wind und Welle auf offener See zu sehen, sie sind viel zu flach auf dem Wasser, daher müssen wir uns darauf verlassen, dass sie unser Licht im Masttop sehen und uns ausweichen. Ganz darauf verlassen können wir uns jedoch nicht, denn es sind nicht nur die Fischerboote, sondern auch ihre Netze und Leinen, die sie ausbringen und von denen wir uns prompt eine einfangen. Die Geschwindigkeit geht von sechs Knoten auf knapp null und wir sehen die Leine deutlich vor dem Kiel hängen. Nach einer kurzen Zeit (einer gefühlten Ewigkeit) schnappt sie unter dem Kiel durch, bleibt eine weitere gefühlte Ewigkeit am Ruder hängen und verfängt sich glücklicherweise nicht in unserer Schiffsschraube. Etwa 100 Meter hinter uns können wir ein kleines offenes Fischerboot erkennen, und das was wir als Winken interpretiert hatten, war wohl die Warnung vor der Leine. Wir wenden und schauen, dass wir möglichst weit weg von der Küste kommen, obwohl wir schon 200 Meilen weg von Ecuador sind. Leider sieht unser Wetterbericht das mal wieder anders und am Tag darauf ändern wir unseren Kurs wieder in Richtung Küste.
Glück im Unglück
Nachtwache. Rikis Wache geht bis 2 Uhr in der Früh, dann übernehme ich bis morgens um 9. Wenn jedoch Arbeiten an Deck anstehen, wecken wir den jeweils anderen. Es ist Rikis Wache. Der Wind ist leicht, das Segeln abgesehen von unserem miserablen Kurs relativ angenehm. Wir sind ein paar Meilen vor dem Äquator und Riki verspricht, mich kurz vor der Äquatorüberquerung zu wecken. Dann werde ich von einem Schlagen an Deck und ein paar Sekunden später von Riki geweckt, allerdings nicht zur Äquatorüberquerung. Die Genua (das Vorsegel) schlägt und rauscht neben dem Boot ins Wasser. Unser erster Gedanke ist, dass das Fall gerissen ist. Wir gehen nach vorne, zerren das Segel aus dem Wasser und binden es mit einer Leine an Deck fest. Als das Segel gesichert ist, bemerken wir, dass der Wirbel noch oben ist, was dafür spricht, dass nicht das Fall, sondern der Schäkel gebrochen ist. Der Wind lässt nochmals nach, so dass wir entscheiden, die Maschine zu starten und uns am kommenden Morgen um das Segel zu kümmern. Maschine an, auf Kurs, Autopilot an, fertig. Der Autopilot jedoch beschließt nach wenigen Sekunden, den Geist aufzugeben. Irgendwie soll es nicht sein, Wind und Wetter sind gegen uns, die Fischer legen uns Leinen in den Weg, Genua und Autopilot wollen nicht, dass wir zur Osterinsel segeln, es ist wie verhext. Wir setzen die für die lauen Windverhältnisse viel zu kleine Fock und dümpeln unter Fock und Großsegel über den Äquator auf die Südhalbkugel.
Am nächsten Morgen klettere ich den Mast hoch, was dank unserer Maststufen schnell und einfach geht. Trotzdem ist es oben die reinste Achterbahnfahrt und obwohl wir nur einen guten Meter Welle haben, werde ich brutal hin und her geworfen und bin hauptsächlich damit beschäftigt, mich festzuhalten. In einem Wellental binde ich schnell eine lange Leine an den Wirbel, mit der wir ihn später nach unten ziehen können. Ein kurzer Rundumblick, ob sonst alles okay ist, lässt jede Hoffnung, weiter bis zur Osterinsel zu segeln, augenblicklich verpuffen: Der Bolzen, der unser Vorstag mit dem Mast verbindet und somit den Mast strukturell nach vorne hält, ist zur Hälfte rausgerutscht und hängt verkantet und schräg zwischen dem verbogenen Gabelterminal des Toggles und dem Augterminal des Vorstags. Der Toggle ist eine Art Kugelgelenk zwischen den Stagen und Wanten (die Drahtseile, die den Mast halten) und deren Anschlagpunkten im Mast und an Deck.
Was für ein Glück im Unglück! Wäre der Schäkel in der Nacht nicht gebrochen, wäre ich nicht ins Rigg geklettert und hätte den Schaden nicht entdeckt. Das Resultat wäre mit ziemlicher Sicherheit ein Mastbruch innerhalb der nächsten Tage (oder Stunden) gewesen. Also nichts wie runter an Deck und den Mast sichern. Mit Genua- und Spifallen sichern wir den Mast nach vorne ab, dann reffen wir das Großsegel so weit, dass der obere Teil des Mastes nicht belastet wird, und segeln unter doppelt gerefftem Großsegel und der kleinenFock weiter. Auf Höhe der Fock ist der Mast durch das Kutterstag die Backstagen und ein Wantenpaar gesichert, so sollte erstmal nichts passieren. Nur bei sehr wenig Wind setzen wir mehr vom Großsegel. Eine Reparatur auf See ist unmöglich, ich klettere zwar noch einmal nach oben, um alles so gut wie möglich zu sichern, dann machen wir uns Gedanken über einen Plan B.
Was jetzt?
Östlich von uns liegt Ecuador, westlich Galapagos. Wir nehmen mit den Hafenmeistern von Puerto Amistad in Ecuador und von San Cristobal auf Galapagos Kontakt auf und erkundigen uns nach den Möglichkeiten. Puerto Amistad in Ecuador ist, wie wir erfahren, mit unserem Tiefgang kaum zu erreichen, und es liegt außerdem in einer Flussmündung, wo sich gerne kurze, steile Wellen aufbauen können. Das ist genau das, was wir im Moment vermeiden möchten, vor allem in Zusammenhang mit den für die nächsten Tage angesagten 35 Knoten Wind für diese Küste. Die anderen Häfen in Ecuador machen uns einen zu offenen Eindruck, um ruhig zu liegen und sicher im Mast arbeiten zu können. Galapagos ist zwar ein paar Meilen weiter entfernt, Wind und Wetter sehen für diese Option jedoch etwas besser aus und Puerto Baquerizo auf der Insel San Cristobal liegt in einer relativ geschützten Bucht.
Kostentechnisch haben wir uns ursprünglich gegen einen Stopp in Galapagos entschieden, jetzt kommen wir nicht drumrum. Nicht, dass wir nicht gerne nach Galapagos gesegelt wären, ganz im Gegenteil, die Kosten dafür sind jedoch so immens, dass ein Stopp Galapagos bislang nicht zur Debatte stand. Aber selbst ein teurer Notstopp ist besser (und günstiger) als ein Mastbruch und wir segeln und motoren langsam nach Westen, Kurs San Cristobal. Der Agent auf Galapagos teilt uns mit, dass der Stopp uns 1.640 Dollar kosten wird, puh. Ein regulärer Stopp allerdings wäre bei über 3.000 gelegen.
Kurs Galapagos
Drei Tage dümpeln, segeln und Motoren wir langsam in Richtung San Cristobal. Den Autopiloten, unser kleineres Problem, konnten wir übrigens relativ schnell reparieren (Diesen benötigen wir, wenn wir unter Maschine unterwegs sind. Unter Segeln steuert die Windfahnensteuerung). Am 07. November, einen Tag vor meinem 40. Geburtstag, fällt morgens der Anker in der Bucht von San Cristobal. Der Mast steht noch und uns fällt ein Stein vom Herzen. Eine halbe Stunde später schon kommt ein Taxiboot längsseits, wir müssen zuerst einmal zahlen. Ich fahre mit zum nächsten Geldautomaten und drücke alles, was das Tagesbudget hergibt, dem Agenten in die Hand. Den Rest reichen wir am nächsten Tag nach.
Dann haben wir ein paar Stunden Verschnaufpause. Für 14.00 Uhr ist die Inspektion angesetzt, die jedes Boot, das im Naturschutzgebiet Galapagos ankommt, durchlaufen muss. Mehr dazu gibt es im nächsten Blogeintrag, ebenso zur Reparatur und wie es überhaupt passieren konnte, dass der Bolzen mitsamt Splint sich trotz Mastchecks vor der Abfahrt hat lösen können.
Für den Moment herzliche Grüße von uns allen
MaRiKiNa
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