Nach einer zweiwöchigen Überfahrt von Galapagos hier her fällt der Anker auf 20 Meter Wassertiefe. Geschafft. Wir sind an der geografisch gesehen isoliertesten Insel der Welt, der Osterinsel. Per Funk melden wir uns bei der Armada und schon eine halbe Stunde später kommt ein Schlauchboot mit mehreren Offiziellen längsseits. Es ist das wahrscheinlich freundlichste, günstigste (kostenlos) und unkomplizierteste Einklarieren der gesamten Reise. Iorana. Herzlich willkommen auf Rapa Nui, wie die Insel bei den Einheimischen heißt. Als die Offiziellen wieder in ihr Schlauchboot steigen und zurück an Land fahren winken sie uns, als kennen wir uns seit Jahren.
Es ist früher Abend, eigentlich etwas spät, um noch an Land zu fahren, aber die Kids hält jetzt nichts mehr an Bord. Also machen wir das Dinghy und den Außenborder, der während der Überfahrt an der Reling hing, klar. Zum ersten Mal überhaupt ziehen wir den Kindern ihre Schwimmwesten an, da sich auf dem Weg in den Hafen je nach Windrichtung auch größere brechende Wellen bilden können. (Im Anschluss an den Text ein paar Worte zum Thema Kids und Schwimmwesten und wie wir das handhaben)
Der Außenborder springt aufs erste Mal an und über ein paar mächtige Wellen geht es in den kleinen Fischerhafen von Hanga Roa, dem Hauptort der Insel. Wir sehen direkt am Hafen unsere ersten beiden Moais, die mysteriösen Steinköpfe, für die die Insel so berühmt ist. Die Kids rennen ausgelassen durch den beschaulichen Hafen, wir gewöhnen uns wieder an den festen Boden unter unseren Füßen und zur Feier der Ankunft gönnen wir uns ein Bier und ein dickes Sandwich in der nächsten Bar. Dann ist es schon wieder an der Zeit, heimzufahren, zwischen den Wellenreitern hindurch und über die Brandung geht es zurück zur ARACANGA. Es ist etwas verwirrend, dass die Sonne hier erst um neun Uhr untergeht, die ganzen letzten Jahre in den Tropen war der Rhythmus gleich, die Sonne geht um sechs Uhr auf und um sechs Uhr unter. Zurück an Bord machen wir die Kinder bettfertig, dann gönnen wir uns noch ein Ankerbier im Cockpit. Die Überfahrt von Galapagos zur Osterinsel ist seit der Atlantiküberquerung die längste Passage der Reise gewesen, entsprechend glücklich sind wir, jetzt hier zu sein.
Die nächsten Tage lassen wir ganz entspannt angehen, wir planen etwa zwei Wochen hierzubleiben und machen uns daher auch keinen Stress, gleich am Anfang alles sehen zu müssen. Wir unternehmen ein paar Spaziergänge entlang der Küste zu den nahegelegenen Kultstätten, den berühmten Moais, und erkunden den Ort Hanga Roa. Schnell fühlen wir uns ein bisschen wie zuhause hier, die Einheimischen sind enorm freundlich und hilfsbereit, und bereits nach wenigen Tagen haben wir einige Bekannte auf der Insel. Als wir ankommen, liegt noch ein anderes Boot vor Anker, welches jedoch zwei Tage später ablegt. Danach sind wir alleine am Ankerplatz und jeder im Ort scheint uns oder zumindest unser rotes Boot zu kennen. Mit den beiden blonden Mädels, unserem Dinghy und den Fahrrädern mit den selbst gezimmerten Kindersitzen haben wir allerdings auch einen gewissen Wiedererkennungswert unter der polynesisch geprägten Bevölkerung. Eine Gruppe Schwimmer schwimmt gar bis zu unserer ARACANGA hinaus, was wirklich weit und mit Welle und Strömung nicht ganz ohne ist.
Die Osterinsel gehört kulturell zu Polynesien, und das merkt man an allen Ecken und Enden: der Sprache, den Bräuchen, dem Schmuck, den Tattoos, den Auslegerkanus und Surfern und nicht zuletzt an der so berühmten polynesischen Herzlichkeit der Menschen. „Iorana“ – herzlich willkommen, hören wir überall, wildfremde Menschen laden uns zum Essen ein oder sprechen uns an, ob wir irgendetwas benötigen, ob sie uns die Insel zeigen sollen oder ob wir ein Auto zum Einkaufen benötigen.
Wir bringen unsere Fahrräder, die wir in Panama gekauft haben, an Land, montieren die noch schnell zusammengezimmerten Kindersitze, und erkunden die Insel per Rad. So gut unsere Navigation auf dem Wasser funktioniert, mit den Rädern verfahren wir uns gleich zu Beginn nicht nur ein-, sondern mehrmals und enden irgendwo zwischen den Vulkanen im Inselinneren, wo wir überhaupt nicht hin wollten. Aus Straße wird Schotterweg, aus Schotterweg wird Feldweg, aus Feldweg wird Trampelpfad. Und natürlich geht es stetig bergauf. Unsere untrainierten Oberschenkel lassen grüßen. Dafür werden wir mit einer grandiosen Aussicht und der vielleicht schönsten Mountainbikeabfahrt der Insel belohnt.
Die Kinder jauchzen und jubeln, während sie auf ihren Holzsatteln durchgeschüttelt werden und wir über Wurzeln und Abhänge jagen, es kann ihnen nicht schnell und wild genug gehen. Leider ist es wie immer und die Abfahrt ist so viel kürzer als der Anstieg, schon bald endet die Piste an der Straße, wo wir – wieder einmal – falsch abbiegen. Einen weiteren Feldweg und einen noch größeren Umweg später sind wir dann endlich an der Straße nach Anakena, dem Ziel unserer Fahrradtour, und es geht mal wieder bergauf. Dann folgt die lange Abfahrt an die Nordküste der Osterinsel. Der Gedanke daran, dass wir das alles später wieder hinauf müssen, wird in den Hinterkopf verbannt.
Anakena habe ich von meiner letzten Reise als einen der schönsten und vor allem abgelegenen und einsamen Strand mit einer Gruppe Moais am Ufer in Erinnerung. Schön sind der Strand und die Bucht nach wie vor, jedoch ist aus dem so einsamen Fleckchen in den letzten 13 Jahren ein Magnet für Touristen geworden, mit Umzäunungen, Verbotsschildern, überteuerten Fressbuden und angelegten Holzpfaden. Schade. So schön es ist, an altbekannte Orte zurückzukommen, manchmal ist die Erinnerung an einen Ort doch die Schönste.
Trotzdem, nach Stunden im Sattel genießen die Kids den Strand und toben herum, auch die gewaltigen Moais, die am besten erhaltenen der ganzen Insel, haben nichts von ihrer Magie eingebüßt. Wir sitzen eine Weile etwas abseits im Gras, lassen den Ort auf uns wirken und versuchen, den Gedanken an die 300 Höhenmeter, die wir eben heruntergeschossen sind, zu verdrängen. Aber es hilft nichts, sämtliche Verfahrer des Hinwegs haben viel Zeit gekostet, und wir müssen zurück. Wir quälen uns bergauf, so schön die Fahrradtour ist, so anstrengend ist sie. Wir haben etwa 60 Kilometer und 700 Höhenmeter zurückgelegt, für die erste Fahrradtour seit Jahren und mit je einem Kind vorne drauf sind wir ganz zufrieden. Unsere Fahrräder mit den Holzkindersatteln sind der Hingucker und mehr als einmal werden diese fotografiert, um sie nachzubauen.
Die nächsten zwei Tage lassen wir die Räder stehen, Riki hat den Muskelkater ihres Lebens und die Kids wollen erstmal lieber mit ihren eigenen Rädern fahren und auf dem Spielplatz toben.
Neben dem Erkunden der Insel haben wir auch ein paar letzte Dinge an Bord zu erledigen, bevor es ins Kalte geht: Die dicken Klamotten werden rausgekramt, die Heizung probegelaufen und für schlechtes Wetter präpariert. Für wirklich schweres Wetter haben wir einen Jordan-Treibanker an Bord, der jedoch noch in Einzelteilen unter dem Kartentisch liegt, und es sind immerhin über 170 Teile… Einen solchen Treibanker kann man für sehr viel Geld kaufen oder selbst zusammenbauen, wie wir. Wir hoffen zwar, diesen nie einsetzen zu müssen, für die Fahrt nach Süden möchten wir ihn jedoch einsatzbereit haben. Ein Jordan-Treibanker ist, wie der Name schon sagt, ein Treibanker, also ein Kegel, der hinter dem Boot hergezogen wird und das Boot bei extremen Bedingungen bremsen und vor dem Querschlagen und Kentern bewahren soll. Ein herkömmlicher Treibanker hat jedoch den großen Nachteil, dass er an die Oberfläche gezogen und somit Luft statt Wasser saugen kann und damit seine Bremswirkung verliert. Ein Jordan-Treibanker hat dasselbe Prinzip des Bremskegels, jedoch nicht einen großen, sondern viele kleine Bremskegel hintereinander, bei unserer Bootsgröße sind es 160 Stück. Diese Bremskegel müssen mit je sechs Gurten an eine lange, extrem starke Leine gespleißt werden, welche wiederum mit zwei Leinen an beiden Seiten des Hecks an extra dafür angebrachten sogenannten „Strongpoints“ angebracht werden. Unser Treibanker ist aus Dyneema, hat eine Bruchlast von etwa 20 Tonnen und ist, nachdem wir über mehrere Abende hinweg sämtliche Kegel eingespleißt haben, 148 Meter lang: 6 Meter Befestigung am Heck, 22 Meter Vorlauf, 110 Meter Kegel und am Ende als Gewicht 10 Meter Ankerkette. Final bauen wir den Treibanker auf dem lokalen Fußballfeld in Hanga Roa zusammen. Danach sind wir bereit, weiter die Insel zu erkunden.
Die wohl bekannteste Kultstätte der Osterinsel ist Tongariki im Südosten der Insel, mit 15 Moais auch die Größte. Tongariki ist das Ziel unserer nächsten Fahrradtour. Entlang der Südküste und vorbei an vielen anderen, verfallenen Kultstätten mit umgekippten Moais radeln wir nach Osten. Es ist wunderschön, aber mit dem Wind gegenan auch echt anstrengend. Irgendwann haben wir es dann doch geschafft und die beeindruckenden Moais von Tongariki stehen vor uns. Eine halbhohe Steinmauer, die es bei meinem letzten Besuch noch nicht gab, begrenzt das Areal weitläufig. Ohne Ticket und ohne Führer kommt ihr nicht rein, so die Aussage des netten Herren am Gatter. Das Ticket gibt es natürlich nur in Hanga Roa. Ärgerlich, aber nicht so schlimm. Wir laufen entlang der Mauer und haben hier einen ebenso schönen Blick auf die Moais.
Wie genau diese aufgestellt wurden und vor allem zu welchem Zweck die Menschen die Qualen auf sich genommen haben, die meterhohen Figuren aus dem Stein zu meißeln, über die komplette Insel zu transportieren und aufzustellen, ist bis heute ein Rätsel. Eine Theorie ist, dass die Figuren zur Abschreckung vor Feinden aufgestellt wurden, dagegen spricht jedoch, dass die Gesichter sämtlich auf die Insel gerichtet sind und nicht aufs Meer, wo potentielle Angreifer herkommen. An Kultstätten wie Anakena, Tongariki oder die am Hafen von Hanga Roa wurden die Moais, die über die Jahre umgefallen sind, wiederaufgerichtet. Es gibt jedoch überall auf der Insel zahlreiche andere Moais, die umgefallen auf dem Boden liegen. Insgesamt gibt es auf der Osterinsel etwa 900 dieser Steinköpfe.
Zurück geht es mit dem Wind, was deutlich angenehmer ist. Angekommen in Hanga Roa kann ich Rikis Muskelkater der letzten Tour nachvollziehen, denn dieses Mal haben wir die Räder getauscht. Als wir am Abend zurück in Hanga Roa sind, quietscht das Fahrrad überall und nichts daran läuft wirklich leicht… erst ölen und fette, dann radeln, das wäre wohl die klügere Vorgehensweise gewesen. Wir machen es andersrum und ölen die Räder am nächsten Tag ordentlich durch… und siehe da, sie laufen so viel leichter.
Die Osterinsel wird nicht allzu häufig von Segelbooten besucht, zu schlecht sind die Ankermöglichkeiten und zu wechselhaft ist das Wetter. Wir haben Glück und können über zwei Wochen am gleichen Ankerplatz vor Hanga Roa verbringen. Zwar läuft selbst am Ankerplatz eine große Dünung unter dem Boot hindurch und schaukelt uns sanft, auch die Windböen sind nicht ohne, wägen wir jedoch den ungeschützten Ankerplatz gegen den Reiz der Insel auf, war es exakt die richtige Entscheidung, hier her zu segeln. Und wollen wir nach Patagonien, führt eh kaum ein Weg an der Osterinsel vorbei. Entlang der Küste zu segeln ist vielleicht etwas kürzer, jedoch gegen Wind und Strömung und aus seglerischer Sicht somit ungeeignet und kaum machbar.
An den letzten beiden Tagen wird unser Ankerplatz unangenehm. Die Windrichtung dreht auf Nord, der Wind bringt eine kurze, steile Welle mit sich und lässt unser Boot wie ein wildes Pferd in der Welle stampfen. Pitschnass kommen wir mit dem Dinghy am Boot an, unter diesen Bedingungen ist es eine Herausforderung, in und aus dem Beiboot zu steigen, gerade mit Kindern, da sich die Badeplattform gut über einen Meter auf und ab bewegt. Wir müssen die richtige Welle abwarten, an Bord zu springen, die Kinder an Bord zu bekommen und gleichzeitig aufpassen, mit dem Dinghy nicht unter die Badeplattform zu geraten und von dieser erschlagen zu werden. Trotzdem ist uns der Winddreher willkommen, denn es ist die passende Richtung, um nach Süden zu segeln. Also funken wir die Armada an, dass wir in zwei Tagen ausklarieren und weitersegeln möchten. Es geht ein letztes Mal an Land, es gibt ein letztes leckeres Eis für die Kids, die Armada stellt uns ein Despacio für Puerto Montt aus und wir bereiten das Boot für die Weiterfahrt vor.
Iorana Rapa Nui, Maururu. Bis bald Osterinsel, Danke für alles. Wir werden in ein paar Monaten von Patagonien aus wieder vorbeikommen.
Liebe Grüße, die ARACANGAs MaRiKiNa
Hier der kurze Nachtrag zum Thema Kids und Schwimmwesten und wie wir das handhaben: Die Kinder sind ihr komplettes Leben an Bord aufgewachsen, kennen die Regeln und bewegen sich sicher an Deck. An Bord liegen die Schwimmwesten und Lifebelts immer bereit, bislang hatten wir jedoch nie die Situation, dass für ein Kind die Gefahr bestehen würde, über Bord zu fallen. Während den Überfahrten dürfen die Kids außer bei Flaute nicht aus dem Cockpit raus, und hier sind meist zum Schutz vor Wind, Regen und überkommenden Wellen die Seitenteile runtergerollt, das Cockpit somit quasi ein fast geschlossener Raum. Und ist es zu wild draußen, sind die Kinder sowieso unter Deck. Außerdem sind die dicken Westen für die Bewegungsfreiheit der Kids, und somit auch für das Gleichgewicht und die Trittsicherheit, meist eher behindernd als hilfreich und in den Tropen, wo wir die letzten Jahre waren, außerdem viel zu heiß. Wie es auch Wilfried Erdmann, uns aller Segelidol, in seinem Buch „Ich bin auf See“ über das Segeln mit seinem Sohn, zu dieser Zeit ähnlich alt wie Kira und Naia, schreibt: „Eine Schwimmweste trug er nie. Sie wäre viel zu heiß gewesen. Außerdem durfte er bei mehr Wind das Cockpit, bei viel Wind die Kajüte nicht verlassen.“
Hi Riki und Martin,
toller Bericht und coole Insel
Viel Spaß auf dem Weg in den Süden. Grüße aus Kiel von Isa& Florian