Flussaufwärts nach Bambally
Knapp zwei Wochen sind wir auf dem Fluss unterwegs, von der Lamin Lodge nach Bambally und zurück. Zunächst geht es die etwa fünf Seemeilen nach Banjul, wo wir kurz vor Anker gehen, um unser seit Ewigkeiten ausgelaufenes Cruising Permit für den Gambia River zu erneuern. Dann geht es am späten Nachmittag mit der auflaufenden Tide auf den mächtigen Fluss in Richtung Süden, um die Sandbank vor Dog Island und dann weiter nach Westen. Es ist schön, wieder auf dem eigenen Boot unterwegs zu sein, auch wenn es für den Moment „nur“ auf dem uns mittlerweile sehr gut bekannten Gambia River ist. Die aracanga und ihr kleiner 10 PS Diesel machen auch nach der langen Standzeit keinerlei Probleme und laufen rund. Lediglich einige Tropfen Wasser dringen ins Boot durch die Wellendichtung, dort wo der Schaft vom Getriebe durch den Rumpf nach außen zur Schiffsschraube geht. Aber dieses Problem ist uns wohlbekannt und eine neue Wellendichtung liegt schon bereit. Solange es bei einigen Tropfen bleibt und nicht zum Sturzbach wird, werden wir die alte Dichtung behalten und erst tauschen, wenn wir irgendwo das Boot aus dem Wasser holen. Im Notfall würden wir die Wellendichtung im Wasser wechseln.
Kurz vor Kunta Kinteh Island beginnt es zu dämmern und wir verbringen die Nacht am Nordufer des Flusses auf etwa drei Meter Wassertiefe vor Anker. Am nächsten Morgen holen wir um sieben Uhr den Anker auf und motoren bei Windstille an Kunta Kinteh vorbei bis zum Mandori Creek, einem unberührten Seitenarm des Flusses inmitten einer mächtigen Vegetation. Auf der einen Seite ragen die Mangroven bis zu zwanzig Meter in die Höhe, auf der anderen Seite säumt saftiges Sumpfgras mit einzelnen Baumstümpfen das Ufer. Ein Paradies für Krokodile, auch wenn wir heute keines zu Gesicht bekommen. So verlockend es aussieht, an Land gehen und auch ins Wasser springen wir hier nicht. Stattdessen genießen wir die Ruhe, wobei Ruhe hier nicht das Fehlen von Geräuschen bedeutet. Diesbezüglich ist es alles andere als ruhig hier: Affen, Grillen, Fische, Hyänen, Insekten, Mungos, Warane, Echsen, Schlangen, Krokodile, die verschiedensten Vögel und viele andere Tiere, die wir hier vergessen. Jedes Tier macht seine ganz eigenen Geräusche, manche laut und manche ganz leise, manche bellen, manche summen und manche piepen, wir hören platschen, kreischen, und kichern. Es ist eine unbeschreibliche Geräuschkulisse, die mit dem Einsetzen der Dämmerung langsam abnimmt, bis man nur noch das plätschern des Wassers am Rumpf und das gelegentliche Knacken eines Astes hören kann und am Morgen wieder zunimmt. Jede Tageszeit hat ihre eigene Geräuschkulisse.
Flussaufwärts fahren wir mit dem Flutstrom, das gibt uns etwa einen Knoten zusätzliche Geschwindigkeit. Jeden Tag verschiebt sich die Tide um eine knappe Stunde nach hinten. Außerdem braucht die Tide eine gewisse Zeit, den Fluss hinauf zu strömen. Das macht in etwa eine weitere Stunde aus, die wir später aufbrechen, deswegen liften wir unseren Anker heute erst gegen neun Uhr. Kurz nach Mandori passieren wir die Ortschaft Tendaba, wo wir diesmal nicht stoppen, dann geht es rund Devils Point und weiter unter der Senegambia Bridge hindurch, die erst vor zwei Jahren eingeweiht wurde. Damals waren wir eines der ersten Boote, die unter der Brücke passierten. Nach der Brücke wird der mächtige Fluss deutlich schmaler, wobei er immer noch die Breite der Elbe bei Hamburg hat. Am späten Nachmittag erreichen wir Elephant Island, die erste große Insel im Fluss. Hier liegt Bambally, ein Dorf das wir zum ersten Mal vor zwei Jahren und seitdem regelmäßig besucht und wo wir viele gute Freunde haben.
Bambally
Bambally liegt etwa einen halben Kilometer vom Fluss entfernt. Eine staubige, rote Straße führt ins Dorf, links und rechts der Piste sind Sumpf- und Überschwemmungsgebiete, wo in der Regenzeit Reis angebaut wird. Am nächsten Tag gehen wir ins Dorf. Toubabs, wie wir wegen unserer Hautfarbe genannt werden, sind eine Seltenheit hier, ein Toubabbaby jedoch eine Attraktion. Aus allen Häusern strömen Kinder und innerhalb kürzester Zeit sind wir von Kindern und Frauen umringt, die sich alle freuen uns wieder zu sehen und das Toubabbaby sehen, streicheln, anfassen, auf den Arm nehmen und tragen wollen. Für Kira ist das im ersten Moment ein bisschen zu viel, sie freundet sich jedoch über den Tag hinweg mit den vielen Kindern an und freut sich, so viel Aufmerksamkeit und Bespaßung zu bekommen, bevor sie am Abend von den vielen Eindrücken wie erschlagen in ihre Koje fällt.
Hier in Bambally haben wir vor zwei Jahren den Brunnen der Schule mit vielen Spenden über diesen Blog renoviert, aus diesem Grund gilt natürlich einer der ersten Besuche der Schule. Momodou, der Schuldirektor, freut sich riesig über unseren Besuch und führt uns über das Geländer der Schule. Auf dem Schulhof wurde ein großer Garten angelegt, wo immer zwei Schüler zusammen ein Beet betreuen und Tomaten, Salat, Kassava, Paprika, Gurken, Bittertomaten, Zwiebeln, Bananen, Papaya und vieles mehr anbauen. „Farming“ ist hier Teil des Lehrplanes und dank des Brunnens nicht nur theoretisch möglich. An der Schule werden etwa 250 Kinder unterrichtet und da es an Klassenzimmern, Schulbänken, Lehrkräften und so gut wie allem anderen mangelt wird in Schichten unterrichtet, eine Hälfte am Vormittag und eine Hälfte am Nachmittag, selbst die Schatten zweier großer Mangobäume werden als Klassenzimmer genutzt. Es ist schön zu hören, dass seit es Wasser an der Schule gibt, deutlich mehr Kinder zum Unterricht kommen, stellt die Schulleitung jedoch gleichzeitig vor logistische Probleme.
Nach der Schule besuchen wir eine befreundete Familie. Diese Familie gehört zu den Ärmeren der Armen und als wir im Compound, wie Haus und Grundstück hier genannt werden, beisammensitzen, wird uns wieder einmal schmerzlich bewusst, was Armut bedeutet. Wir als Europäer romantisieren das afrikanische Dorfleben gerne, aber in Wahrheit ist es hart und entbehrungsreich. Wenn das Geld gerade so oder gerade nicht für einen Sack Reis im Monat reicht, kann man nicht von einer ausgewogenen Ernährung sprechen. Bei mir auf dem Schoß sitzt ein kleines Mädchen in einem zerschlissenen Kleid, offensichtlich aus der europäischen Altkleidersammlung. Wir schätzen sie auf etwa zwei Jahre, trotzdem wiegt sie deutlich weniger als Kira. Ihre Mama meint beiläufig, dass mit dem Mädchen etwas nicht stimme. Sie könne nicht essen und müsste sich ständig übergeben. Auch erwähnt sie, dass das Mädchen schon vier Jahre alt sei. Zurück auf der aracanga reden wir noch lange über den Tag und über das Mädchen und vermuten, dass sie irgendeine Unverträglichkeit hat, vielleicht auf Gluten. In Europa kein Problem. Hier wird sie immer ein krankes Mädchen sein.
Wir bleiben noch zwei weitere Tage im Dorf, spielen mit den Kids, bauen Schaukeln auf dem Schulhof, erledigen ein paar kleinere Renovierungsarbeiten am Brunnen wie das Auswechseln eines Wasserhahnes, treffen Freunde und reden und diskutieren viel. Es fehlt an so vielem, Bildung und ausgewogene Ernährung sind die größten Mängel. Es ist schön, dass deutlich mehr Kinder als noch vor zwei Jahren die Schule besuchen, aber eine wirkliche Perspektive gibt das nur einem Bruchteil der Schüler. Wir verlassen Bambally mit gemischten Gefühlen und freuen uns umso mehr, als wir am nächsten Tag unsere Freundin Kaddy in Soma treffen.
Flussabwärts
Kaddy haben wir damals in Bambally kennengelernt. Sie ist eine außergewöhnliche junge Frau und mit dem von der Brunnenrenovierung übrigen Geld haben wir damals beschlossen, ihr eine Collegeausbildung zu ermöglichen, damit sie sich ihren Traum erfüllen kann, als Lehrerin zu arbeiten. Mit dem College ist sie fast fertig und aktuell absolviert sie gerade ihre „teaching practice“, eine Art unbezahltes Referendariat. Sie konnte zwei Schulen als Präferenzen angeben und wurde nach Soma in eine der beiden Schulen geschickt. Es ist eine Privatschule, die von den „Sisters of Notre Dame“ finanziert wird. Die Schulgebühren sind überschaubar, so dass es sich nicht nur die reiche Elite leisten kann. Einen Vormittag sind wir mit Kaddy in der Schule, sehen ihr beim unterrichten zu und freuen uns wahnsinnig für sie, dass sie sich ihren Traum erfüllen konnte. Sie ist mit ihrem ganzen Herz eine tolle und gute Lehrerin.
In Soma treffen wir außerdem Ibrahim. Er ist zwölf und uns zwischenzeitlich ehrlichgesagt ziemlich auf die Nerven gegangen. Kein Tag im letzten Jahr ist vergangen, an dem er nicht mindestens dreimal angerufen hat. Gleichzeitig ist er absolut liebenswürdig, intelligent und engagiert. Wir haben ihm versprochen, uns zu melden, wenn wir in Soma sind. Wir gehen auf den Markt, wo seine Mama Frühstück verkauft und uns gleich bestens versorgt. Die 200 Dalasi, die wir ihr dafür in die Hand drücken, nimmt sie erst nach langer Diskussion an, obwohl sie das Geld gut brauchen kann. Ibrahima klagt uns sein Leid, dass seine Mama ihn aus der Schule nehmen möchte, damit er Geld verdienen soll. Wir überlegen hin und her und schlagen ihm vor, er soll seiner Mama vorschlagen, ob er nicht auf die Notre Dame Schule gehen darf und wir die Gebühren dafür übernehmen. Stolz und freudig erzählt er uns am Abend am Telefon, dass seine Mama ja gesagt hat. Für uns ist es eine überschaubare Investition und ihm ermöglicht das hoffentlich einen besseren Start als eine während der siebten Klasse abgebrochene Schullaufbahn.
Von Soma geht es mit einem Zwischenstopp im Sami Creek, einem gut geschützten aber ansonsten relativ reizlosen Nebenarm zurück zur Lamin Lodge. Der Wind weht kräftig und steht gegen die Strömung, das macht die letzten Meilen ziemlich ungemütlich. Der Bug sticht öfter in die kurzen und steilen Wellen in der Flussmündung ein, während Kira in der vorderen Kabine durchgeschüttelt wird und seelenruhig schläft. Am frühen Nachmittag sind wir zurück an unserer Boje.
Wir haben noch keine fixen weiteren Pläne, aber aller Voraussicht nach werden wir in absehbarer Zeit von hier aus über den Atlantik in die Karibik segeln.
Das wars von unserer eindrucksreichen Flussfahrt. Ach ja, ein Krokodil haben wir auch noch gesehen.
Viele liebe Grüße,
Martin, Riki und Kira
Pingback:Antigua - ahoi.blog