Endlich eine neue Insel
Voller Vorfreude und mit großen Erwartungen ankern wir pünktlich zum Sonnenuntergang in der Freeman Bay, einer kleinen Bucht außerhalb Englisch Harbours, einer der wohl bekanntesten Buchten der Karibik. Vorfreude auf Neuland, auf Antigua, vor allem aber Vorfreude auf die angekündigten Familienbesuche. Meine Mama kommt uns über Weihnachten und Neujahr für einen Monat besuchen und mein Papa ist mit der Ivalu auf dem Weg von den Kapverden über den Atlantik.
English Harbour
Nachdem der Anker gefallen ist heißt es erst einmal einklarieren, also offiziell einreisen. Hier läuft alles etwas strenger ab als auf den französischen Inseln, wo man lediglich an einem Computer ein- und ausklariert: Die Anmeldung erfolgt vorab online, vor Ort geht es nach dem Ausfüllen eines Gesundheitsfragebogens zuerst zum Zoll, Formulare ausfüllen. Mit einem Packen Unterlagen und Kopien ist die nächste Station dann die Immigration, hier wird fleißig gestempelt, bevor man wieder zurück zum Zoll mit den gestempelten Unterlagen geschickt wird. Als Letztes wartet noch die Hafenbehörde und eine saftige Rechnung. Dann sind wir offiziell im Land und schauen uns etwas um in Englisch Harbour, genauer genommen im hier befindlichen „Nelsons Dockyard“. Der historische Museumshafen mit seinen Gebäuden aus dem 18. und 19. Jahrhundert ist ein Teil britischer und karibischer Kolonialgeschichte und ist weitgehend originalgetreu erhalten und wiederaufgebaut. Nur, dass heute keine Fregatten wie die „HMS Boreas“, die Nelson in Antigua befehligte, sondern hochpolierte, protzige Megayachten das Hafenbild English Harbours und der Nachbarbucht Falmouth prägen. Jedem das seine, leben und leben lassen, das würden wir normalerweise sagen. Das hier allerdings ist ein Vorzeigemodell einer Zwei-Klassen-Gesellschaft mit den Multimillionären auf der einen Seite und den restlichen 99,9 Prozent auf der anderen Seite der Schranke. Antigua and Barbuda, wie das Land offiziell heißt, ist im karibischen Vergleich kein armes Land und global gesehen mit Rang 71 im UN-Index der menschlichen Entwicklung durchaus im oberen Mittelfeld angesiedelt, trotzdem ist Armut und Obdachlosigkeit außerhalb der Reiche-Leute-Ghettos und speziell in der Hauptstadt Saint John’s nicht zu übersehen. Wer für seinen Lebensstil inklusive Megayacht fossile Brennstoffe wie eine Kleinstadt verbrennt, der sollte einmal ein paar Tage auf der anderen Seite der Schranke verbringen, oder noch besser bei unseren Freunden im kleinen Dorf Bambally, um das andere Extrem kennenzulernen.
Man kann an dieser Stelle sagen, dass ja auch wir auf einem schönen Segelboot leben, eine Dieselmaschine an Bord haben und zum wohlhabenderen Teil der Weltbevölkerung zählen. Das stimmt, jedoch bewegen wir uns in erster Linie mit dem Wind, versuchen unseren CO2Fußabdruck so gering wie möglich zu halten und gewinnen unsere Energie aus Wind und Sonne.
So, das mussten wir an dieser Stelle einfach mal loswerden. Hauptsächlich sind wir jedoch nach Antigua gekommen, um mit der Familie Weihnachten und Sylvester zu feiern. Ein paar Tage nach unserer Ankunft holen wir meine Mama Lilli am Flughafen ab und noch ein paar Tage später kommt die Ivalu mit meinem Papa Peter und seinem Kumpel Gary nach einer langwierigen und anstrengenden Atlantiküberquerung auf der kleinen Karibikinsel an. Es gibt ein großes Hallo und Wiedersehen. Gemeinsam segeln wir wenige Tage später um die Insel nach Jolly Harbour, wo Thomas und Wolfgang, zwei gute und altbekannte Freunde von uns vor Anker liegen, um dort alle zusammen Weihnachten zu feiern.
Jolly Harbour
Hier wohnen für English-Harbour-Maßstäbe die armen Leute, für Maßstäbe der restlichen Welt die oberen 10.000. Jolly Harbour ist eine künstlich angelegte Feriensiedlung, jede Wohneinheit mit eigenem Yachtanlegesteg, und durch einen langen Zaun und Securityposten vom Rest der Welt abgeschirmt, eine „Gated Community“, wie die Feriensiedlung auf seiner Homepage angepriesen wird. Allein schon diese Phrase kling in unseren Ohren befremdlich. Wir liegen vor Anker etwas außerhalb dieser Parallelwelt. Da auf jedem unserer jetzt auf vier Boote angewachsenen kleinen Gruppe ein paar Reparaturen und etwas Arbeit ansteht, bleiben wir ein paar Tage. Außerdem treffen wir hier wieder auf Jay, den reisenden Segelmacher, mit dem wir gemeinsam endlich unsere Sprayhood in Angriff nehmen. Jolly Harbour hin oder her, auf der Nordseite der Bucht gibt es einen wildromantischen, kleinen und von Landseite nicht zugänglichen Strand, der zu unserem Robinsonort wird. Hierher kommen wir mit den Kids zum Sandeln und schwimmen, hier machen wir Lagerfeuer und hier feiern in kleiner Runde Weihnachten und Sylvester mit Grillfleisch und karibischem Rumpunsch.
Kira und Naia genießen die Zeit mit Oma und Opa und vor allem Kira nimmt die Oma voll in Beschlag: Es wird gebastelt, gemalt, ausgeschnitten, vorgelesen und natürlich gebadet, geschwommen und geplanscht. Zu Weihnachten gibt es für Kira eine neue Taucherbrille, Bücher und Duplo und für Naia ein Knisterbuch, bunte Böötchen und Becher zum stapeln.
Green Island
Nach Sylvester segeln wir alle gemeinsam noch einmal um Antigua, wieder vorbei an English Harbour auf die Ostseite zu Green Island. Es ist schön hier, ruhig und abgeschieden. Die von einem langen Riff geschützte kleine Insel ist als einer der besten Kite- und Surfspots der Karibik bekannt, ebenso für seine Unterwasserwelt. Zum Schnorcheln ist es jedoch sehr windig während der Tage, die wir hier sind. Dafür pumpen wir endlich wieder einmal unseren Wing auf. Wingfoilen ist ähnlich wie Windsurfen, nur dass hier das Segel nicht mit dem Brett verbunden ist und auf der Unterseite des Bretts eine Art Flügel, der Foil, an einer langen Finne befestigt ist. Und so langsam klappt es auch ganz gut mit uns und dem Wingfoilen und wir fliegen weite Strecken übers Wasser.
Getriebeprobleme
Lillis Tage an Bord neigen sich leider dem Ende und so brechen wir auf, zurück in die Freeman Bay. Es ist windig und wellig und wir verkalkulieren uns etwas mit dem Wetter. Die tiefen, dunklen Wolken sehen zwar nass und ungemütlich aus, aber einen ausgewachsenen Squall mit stürmischen Böen haben wir nicht erwartet. Kurz nachdem der Anker oben ist, sind wir patschnass und unsere Sichtweite reduziert sich durch den Regen enorm. Wir sehen kaum etwas, die Welle ist kurz und ekelhaft und der Wind stürmisch. Kurzerhand fällt der Entschluss, umzudrehen und den Ankerplatz auf der anderen Seite der Insel anzulaufen. Außer, dass wir etwas kalt und nass geworden sind, ist nichts passiert und unwissentlich haben wir vielleicht Schlimmeres vermieden.
Am Tag darauf, das Wetter ist freundlich, holen wir abermals den Anker auf, setzen das Großsegel und die Genua und lassen die Maschine mitlaufen, da wir uns vor einer Leeküste befinden. Es ist nicht allzu viel Wind und mit den Segeln und niedriger Motorendrehzahl machen wir etwa sechs Knoten Fahrt. Beim nächsten Blick auf die Geschwindigkeit sind es nur noch vier Knoten und zuerst vermuten wir eine Gegenströmung, checken aber sicherheitshalber den Motor, der nach wie vor läuft. Etwas mehr Gas: kein Unterschied. Leerlauf: kein Unterschied. Der erste Gedanke ist, dass wir unseren Propeller verloren haben, was zwar sehr selten aber durchaus vorkommt. Die Welle dreht aber auch bei ausgekuppelter Maschine, also kann das nicht sein. Ein gerissener Schaltzug? Auch nicht. Nur eines ist sicher: Der Motor läuft, aber die Kraft kommt nicht an, das Problem muss im Getriebe liegen. Wäre das gestern passiert, hätten wir unter Umständen ein echtes Problem gehabt. Heute ist es zwar für den Moment ärgerlich, aber kein Sicherheitsrisiko. Wir segeln die letzten Meilen in die Bucht und ankern unter Segeln.
Die Ivalu ist schon da, Thomas mit seiner Irmi kommt kurz nach uns an und Wolfgang bleibt noch etwas zum surfen auf Green Island. Heute möchten wir gar nicht mehr an das Getriebe denken, schon gar nicht an die Arbeit, das Ding im blödesten Fall auszubauen und das viele Geld für eine Reparatur oder noch schlimmer ein neues Getriebe. „Habt ihr das Getriebeöl gecheckt?“, meint Thomas. „Ohne Öl keine Kraftübertragung.“ Doch, wir haben das Öl gecheckt, vor jeder Fahrt checken wir die Maschine durch. Aber für die wenigen Meilen von Green Island hierher haben wir ehrlichgesagt das Getriebeöl nicht gecheckt, und nach der Ankunft wie gesagt das Getriebe Getriebe sein lassen. Ein Blick in die Motorbilge lässt es schon erahnen und ein Blick auf den Peilstab bringt Gewissheit: Die drei Liter Getriebeöl sind nicht dort, wo sie hingehören. Also auffüllen und ein Gefäß drunter, dann Maschine starten und siehe da, alles funktioniert. Aus der unteren Öldichtung des V-Getriebes tropft es ohne Unterlass, die Dichtung muss gerissen sein oder so. Glück im Unglück, die Dichtung zu wechseln sollte kein Hexenwerk sein und nochmal Glück gehabt, in ein paar Tagen kommt ein Kumpel von meinem Papa zu ihm an Bord, der uns die passende Dichtung gleich mitbringen kann.
Zuvor heißt es jedoch Abschied nehmen. Ein Monat ist schneller vergangen als gedacht und wir sind wieder auf dem Weg zum Flughafen. Liebe Lilli, Mama, Oma, auch wenn wir weniger geschafft als wir uns vorgenommen haben, es war wunderbar und wunderschön mit Dir an Bord und wir freuen uns schon auf ein Wiedersehen. Wir hoffen, Du hattest einen schönen Urlaub, wir haben die Zeit mit Dir jedenfalls sehr genossen. Wieder einmal fällt Kira der Abschied besonders schwer und bereits auf dem Weg zurück zum Boot zählt sie auf, was sie beim nächsten Besuch alles mit der Oma basteln möchte: eine Girlande und vor allem Sterne für die Fenster und Luken.
Eine kurze Unterbrechung, etwas Lesestoff für kalte Wintertage… Werbung in eigener Sache…
„Lieber Martin, ich bin auf den letzten Seiten Deines Buches. Das ist ein echter Pageturner und Du hast so wichtige Themen so unglaublich gut verpackt, wirklich ganz große Klasse (…)“ Karin Wenger, Autorin und Radiojournalistin beim SRF
Elmo und das geraubte Blau
von Martin Finkbeiner
Elmo ist ein Klabautermann. Da sein Schiff untergegangen ist, lebt er an Land, im friedlichen Städtchen Kapkap. Eines Tages spielt ihm das Schicksal ein neues Boot in die Hände und er bricht auf, um die Welt zu sehen. Doch daraus wird nichts – denn finstere Mächte trachten danach, Verderben über den Ozean und seine Bewohner zu bringen. Auch Elmos Freundin, die Meeresprinzessin Sira gerät in große Gefahr. Elmos Reise wird zu einem gefährlichen Abenteuer. Zusammen mit seinen Freunden stellt er sich gegen die Panzerechse Leviathan, den Feind des ozeanischen Gleichgewichtes und Feind aller Schönheit und Friedfertigkeit. Mit hinterhältigen Tricks und einer furchterregenden Armee will dieser die Meeresbewohner ihres Glücks berauben.
Die Talisker Whiskey Challenge
Während wir mit unserem Getriebeproblem in English Harbour hängen und auf die Dichtung warten, kommen nach und nach die ersten Boote der Talisker Whiskey Challenge hier an. Das Rennen ist mit Sicherheit eine der härtesten Regatten überhaupt, denn die Boote werden gerudert, und zwar einmal über den Atlantik: von La Gomera auf den Kanaren nach Antigua in der Karibik, 3.000 Seemeilen. Dagegen erscheint jede noch so extreme Segelregatta wie ein Wellnesstrip. Wir stellen uns den Wecker, um bei der Ankunft des ersten Bootes mitten in der Nacht dabei zu sein, die Ziellinie ist zufälligerweise direkt hinter unserem Heck, wir haben sozusagen die Logenplätze. Während der kommenden Woche bekommen wir die ersten etwa zehn Zieleinfahrten mit, es sind hauptsächlich Vierer-, ein Dreier- und ein Fünferteam. Aber es sind auch Zweier und sogar Soloruderer unterwegs. Das erste Boot benötigt 31 Tage, im Durchschnitt sind die Ruderer etwa 55 Tage unterwegs, die Überquerung kann aber auch über 100 Tage dauern, gerade für die Solisten, die ja auch irgendwann schlafen müssen und nicht in Schichten rudern.
Eine einfache komplizierte Reparatur
Dann heißt es arbeiten: Die Reparatur unseres Getriebes ist doch mit etwas mehr Flüchen als gedacht verbunden und braucht zwei Tage. Zwei Tage, in denen der Boden im Salon sperrangelweit offen steht und ein normales Leben an Bord kaum möglich ist. Zunächst müssen Welle und Getriebe voneinander getrennt werden. Dies geschieht mittels vier Schrauben, die sich allesamt problemlos öffnen lassen. Dann wird die Welle nach achtern geschoben und mit einer gigantisch anmutenden Sechskantnuss der Getriebeflansch entfernt. Die Öldichtung hebeln wir mit einem Gabelschlüssel raus, bis hier geht alles locker und easy. Die mit reichlich Vaseline eingefettete, neue Dichtung einzusetzen ist dann schon etwas schwieriger als gedacht und dauert mehrere Stunden, bis sie so sitzt wie wir denken, dass es passen könnte. Wir waren so klug, uns zwei Dichtungen mitbringen zu lassen, eine zum Üben sozusagen. Getriebeflansch drauf, Gewinde mit Teflon abdichten, Mutter drauf und zu. Der erste Tag ist vorbei.
Wir füllen einen Liter Getriebeöl ein und stellen eine saubere Schüssel darunter. Wenn sie morgen immer noch sauber ist, dann sind es noch vier Schrauben. Kurz bevor wir ins Bett gehen, ist sie noch sauber, am nächsten Tag ist genau ein Tropfen Öl darin. Hmmm… Mit einem sauberen Tuch tupfen wir alles ab, das Öl kommt nicht durch die neue Dichtung, sondern bei der Mutter raus. Also noch einmal abdichten. Jetzt noch die vier Schrauben zwischen Welle und Getriebe verbinden und fertig. Dieser vermeintlich leichteste Teil der ganzen Arbeit stellt sich als am schwierigsten heraus. Die flexible Kupplung ist zwar höchstwahrscheinlich nicht so alt wie der Motor (Baujahr 1979), aber in vielen Jahren Betrieb hat die Hartgummiplatte etwas gearbeitet und Schrauben und Schraublöcher passen nicht mehr aufeinander, und zwar um etwa einen Zentimeter! Einige Flüche, Stunden und Versuche vergehen, bis die Platten wieder aufeinandersitzen, zum Getriebeöl in der Motorbilge gesellt sich literweise Schweiß und der Mensch, der am Abend aus dem Motorraum steigt, hat optisch nicht mehr allzu viel gemein mit demjenigen, der am Morgen rein ist… Aber es ist vollbracht, es ist dicht und es läuft wieder. Jetzt muss der ganze Dreck nur noch sauber gemacht werden, aber nicht mehr heute!
Liebe Grüße aus Antigua senden die vier ARACANGAS Naia, Kira, Riki und Martin
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Toll wie ihr das alles meistert! Ich bin schon eine ganze Weile begeisterter Leser eures Blogs. Wir reisen selbst mit einem kleinen Kind auf unserer Jeanneau Sun Odyssey 33 und so interessieren mich die Familiensegler immer am meisten.
Vielleicht schreibt ihr ja mal einen Blog Post speziell zum Thema Kinder an Bord. Mich würde sehr interessieren was sich für euch bewährt hat und was nicht.