Papierkrieg
Im Süden der Bucht von Samana liegt der Nationalpark Los Haitises, zweifelsohne einer der Höhepunkte unserer Zeit in der Karibik. Von Santa Barbara aus segeln wir die nur zwölf Meilen quer über die riesige Bucht nach Südwesten und dann um die Kurve in die nicht ganz so riesige, aber immer noch beeindruckend große Bucht San Lorenzo. Um innerhalb der Dominikanischen Republik jedoch irgendwo hinsegeln zu dürfen, muss man immer zunächst immer einen gewissen Papierkrieg bewältigen und ein wenig Geduld haben. Und das geht so: Bei der Armada gilt es, uns ein sogenanntes Despachio organisieren, eine Art Befahrenserlaubnis. Segelt man in eine andere Stadt, wo es ebenfalls einen Stützpunkt der Armada gibt, muss das Despachio dort wieder vorgezeigt werden. Segelt man wie wir in den Nationalpark, bekommt man eine Genehmigung für ein paar Tage, in unserem Fall fünf, und muss danach wieder zurückkommen. Also werden, genau wie zwei Tage vorher beim Einklarieren, wieder alle unsere Pässe kopiert und Namen, Nummern und Daten in den Computer übertragen, dasselbe mit den Bootsdokumenten.
In der Zwischenzeit gehen wir einkaufen und holen uns an der Straße frisches Obst und Gemüse sowie im Supermarkt Milchpulver für unsere Joghurtkultur. Zurück bei der Armada liegt unser ausgedrucktes Dokument bereit und ein Praktikant begleitet uns in unserem Dinghy zur ARACANGA, um dort für die Vollständigkeit der Unterlagen ein Bild vom Boot zu machen. Je nach Motivation des Praktikanten/Auszubildenden oder Beamten reicht manchmal ein Bild per Whatsapp, es wird ein Bild aus der Ferne, aus der Nähe oder bei Übermotivation ein Bild gemacht, auf dem der Bootsname zu erkennen ist, die Crew an Deck steht und das Despachio in die Kamera hält. Unser Begleiter zeigt, vielleicht liegt es auch am regnerischen Wetter, lediglich eine mittlere Motivation, er achtet zwar darauf, dass der Bootsname im Bild zu erkennen ist, verzichtet aber auf das Antreten lassen der Crew. Offiziell müssen wir innerhalb der nächsten Stunde nach Los Haitises ablegen.
Ernüchterung zum Ersten
Zunächst müssen wir ein paar Kabellängen (eine Kabellänge = 1/10 Seemeile = 185 Meter) nach Osten, um von den vorgelagerten Riffen frei zu sein, dann geht es in Richtung Südwesten und in Richtung Nationalpark. So der Plan. Dann die Ernüchterung: Die Maschine springt nicht an. Mist. Kurzer Check: Der Anlasser scheint in Ordnung, die Batteriespannung nicht. Als kurzfristige Lösung klemmen wir die Kabel von der Starterbatterie ab und auf die Hausbatterien. Mit kurzem Zögern startet der Motor, wir holen den Anker auf, setzen die Segel und fahren aus der Bucht. Die Maschine lassen wir laufen und klemmen die Kabel zurück auf die Starterbatterie, um diese zu laden. Direkt außerhalb des Riffs treibt Thomas mit seiner Irmi, der gemeinsam mit uns auf dem Weg in den Nationalpark ist. An einer Leine achteraus von der Irmi hängt ein Fischerboot mit leerem Tank. Thomas hat Sprit für die Fischer, wir haben noch einen Rest Zweitaktöl, das wir beisteuern können, somit sind die beiden Fischer, die in ihrem kleinen offenen Boot drei Tage draußen waren, wieder mobil. Vier Fische wandern zum Dank auf die Irmi, ein willkommenes Abendessen für später.
Kurs Süd-West
Zwölf Meilen geht es über die Bucht, vorbei an der Huk der Halbinsel in die Bahia de San Lorenzo und somit in den Nationalpark Los Haitises. Die letzten Meter steht die Genua an Backbord und das Groß an Steuerbord. Kurz vor dem Ankerplatz bergen wir das Vorsegel, drehen den Bug in den Wind, dann heißt es Anker und Großsegel runter. Maschine aus, Ruhe. Die Batterien sind jetzt zwar voll, die Maschine startet trotzdem nicht. Mist. Aber egal, da kümmern wir uns morgen drum, heute soll uns das nicht stören.
Der Nationalpark Los Haitises
Die Szenerie ist überwältigend: schroffe Klippen und steile, von Hexenhaar überwucherte Felsen bestimmen das Bild am Ankerplatz. Dahinter Mangroven und noch dahinter Dschungel. Die Landschaft ist hügelig, jeder einzelne zwar nicht höher als 100 Meter, jedoch trotzdem kaum zu erklimmen.
Der Name Los Haitises bedeutet hügeliges / bergiges Land kommt von den Tainos, den Ureinwohnern Hispaniolas, wie die aus Haiti und der Dominikanischen Republik bestehende Insel heißt. Die Tainos stammen von den Arawak ab, die wiederum vom heutigen Venezuela aus die Karibik bevölkerten. Nach der Eroberung der Inseln wurden die Ureinwohner der Arawak und der Kariben versklavt, sie sind innerhalb kürzester Zeit ausgestorben, da sie keine Immunabwehr gegen eingeschleppte Krankheiten und keine Chance gegen die Grausamkeiten der Europäer hatten. In den ländlichen Gegenden kam es zu einer Vermischung der weißen Kolonialherren, der schwarzen Sklaven und der indigenen Taino, so dass sich Teile der Taino-Kultur auf Hispaniola und Kuba erhalten konnten.
Zurück in den Nationalpark. Thomas‘ Irmi ankert neben uns, auf der anderen Seite die Mahea mit unseren neuen Freunden Alex und Ina mit ihrer zweijährigen Tochter. Kira freut sich über die Spielgefährtin und die beiden genießen die gemeinsame Zeit.
Am Abend fahren wir mit dem Dinghy an Land und dort, wo wir hinter der nächsten Ecke einen Strand vermuten, öffnet sich ein beeindruckender Tunnel aus Mangroven und Felsen, der sich etwa zweihundert Meter landeinwärts erstreckt und an einem etwas baufälligem Steg endet. Hier binden wir das Beiboot an und noch ein paar Meter weiter stehen wir am Eingang zu einer Höhle, die von abertausenden Fledermäusen besiedelt und voller von den Tainos stammenden Felsmalereien und Petroglyphen ist. Wir wandern durch die Höhle und warten auf den Sonnenuntergang und das Erwachen der Fledermäuse, die dann in Scharen dunkler Wolken die Höhle verlassen und auf Insektenfang gehen. Das Motorproblem ist (vorerst) vergessen, der Tag mit Sicherheit nicht so bald.
Ein neuer Tag in Los Haitises. Delfine ziehen durch die Bucht, regelmäßig hört und (mit etwas Glück) sieht man Adler- und Stachelrochen springen, Pelikane, Kormorane und Fregattvögel sowie mächtige Bussarde ziehen ihre Runden über den Booten.
Dschungelwanderung
Für heute steht ein Landausflug auf dem Programm. Von einem verschlungenen und von Mangroven überwucherten Seitenarm im inneren der Bucht San Lorenzo führt ein Pfad durch den Dschungel zu einem anderen, in den Mangroven versteckten, kleinen Landeplatz. In zwei Gruppen wandern wir den Weg von beiden Seiten, so dass wir mit dem jeweils anderen Beiboot zurück zum Boot kommen.
Kakao- Kapok- und Mahagonibäume, Bananen-, Kokos- und unzählige andere Palmen, Farne und Sträucher, Luftwurzler und Lianen sowie allerlei stachlig und dorniges Gewächs wuchert in- und unter- und übereinander. Dazu sorgen umgestürzte Bäume, Felsen und Höhlen für echtes Urwaldfeeling. Kira und ihre neue Freundin sitzen in der Kraxe und kommandieren („Da, Papa, Blume! Kannst du die für mich pflücken? Da, Papa, Stock, da, Papa, großes Blatt, da…“), Naia schlummert in der Bauchtrage und die Esel schleppen Kids und deren gesammelte Schätze und Rucksäcke viereinhalb Stunden durch den Dschungel. Zum Glück ist es angenehm schattig. Als abschließendes Highlight geht es durch die Eulenhöhle, Achtung Kopf einziehen beim rauskrabbeln, dann steil bergauf, wieder bergab und die letzten Meter entlang der Mangroven zum Dinghy.
Er läuft!
Jetzt gibt es keine Ausrede mehr, zurück am Boot wird in den Motorraum gekrochen, der Anlasser gecheckt (alles okay), der Motor nochmals versucht zu starten (startet nicht, dafür stinkt es aus dem Batteriefach), dann die Batterien gecheckt, dann das große Aha: ein loser Kontakt sorgt für den Spannungsabfall. Wie so oft ist nicht die Reparatur, sondern die Fehlersuche die eigentliche Herausforderung. Der Kontakt ist schnell festgezogen sowie alle andere Batterieterminals gecheckt. Die gute Nachricht: Die Maschine startet.
Den nächsten Tag verbringen wir gemeinsam mit der Mahea-Crew an der nahegelegenen Eco-Lodge. In vielen aufgestauten Pools bieten sich zahlreiche Bademöglichkeiten (Süßwasser – was ein Luxus!), und nicht nur das: im Eintritt inbegriffen sind ein großes leckeres Buffet und alkoholfreie Getränke. Also lassen wir es uns heute richtig gut gehen, die Kids planschen in den Pools und wir bestaunen die in den Fels gearbeitete Architektur. Voll entspannt und guter Dinge fahren wir später mit dem Dinghy durch die Mangroven zurück zu ARACANGA und Mahea.
Ernüchterung zum Zweiten
Bei einem routinemäßigen Ölcheck am späten Nachmittag offenbart sich die nächste schlechte Nachricht: Wir haben Wasser im Motoröl, eine graue Pampe klebt am Peilstab. Das ist mal so ganz und gar überhaupt nicht cool.
„Hätte das mal nicht auf St. Martin passieren können, wo Ersatzteile und gute Mechaniker nicht weit sind?“
„Hättest du wirklich auf St. Martin bleiben wollen?“
„Ne, stimmt, dann lieber hier. trotzdem sch… „
Unser erster Verdacht sind defekte Dichtungen in der Wasserpumpe, die direkt vom Motor angetrieben wird und eine Dichtung zum Öl und eine zum Wasser hat. Sollten beide Dichtungen (Simmerringe) undicht sein, kann Wasser ins Öl gelangen. Also heißt es für Riki und die Kids am nächsten Morgen wie geplant eine nahegelegene Höhle zu erforschen und für mich (Martin) ein Tag im Motorraum. Der Ausbau der Wasserpumpe ist einfach, vier Schrauben und eine Dichtung. Da wir jedoch keine Ersatzdichtungen für die Wasserpumpe an Bord haben, möchte ich sie nicht komplett auseinandernehmen, um das Problem nicht eventuell noch zu verschlimmern. Also Impeller raus, das Gehäuse voll Wasser gefüllt und aufrecht stehend beobachten, ob unten Tropfen raus kommen. Schwer zu sagen, es lässt sich weder bestätigen noch widerlegen, dass die Pumpe das Problem verursacht. Die kurzfristige Lösung heißt Pumpe wieder einbauen, Ölwechsel, Ölfilterwechsel und Motor nur im Notfall und wenn, dann nur kurz laufen lassen. Ein Stück Küchenrolle kommt mit Kabelbinder unter die Wasserpumpe um zu sehen, ob sie leckt wenn die Maschine läuft.
Dann kommen auch Riki und die Kids zurück und die Baustellen scheinen abermals nicht weniger zu werden: Schon von weitem ist zu erkennen, dass die Backbordseite unseres Schlauchbootes ziemlich schlapp daherkommt und auch nach Reparatur schreit. Wenigstens hatten die Höhlenforscher einen grandiosen Tag und zeigen Bilder der kathedralenartigen Tropfsteinhöhle. Sieht so aus, als müssten wir noch einmal hier her kommen. Für diesmal ist allerdings Schluss und für den nächsten Tag planen wir, gegen späten Vormittag abzulegen und die zwölf Meilen zurück nach Santa Barbara de Samana zu kreuzen.
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Kurs zurück nach Santa Barbara
Am Vormittag kommt ein leichter Wind auf. Wir sind bereit zum Ablegen: Das Großsegel ist angeschlagen, ebenso die Fock, und auch die Genua ist bereit. Unter Segeln an- und abzulegen ist in der Regel kein großes Problem, während der Weltumsegelung 2010 bis 2013 hatte ich die meiste Zeit keine Maschine zur Verfügung und habe das fast ausschließlich gemacht, und auch auf dieser Reise ist es nicht das erste Mal. Trotzdem ist es auch immer etwas aufregend… Also Anker kurzstag, Groß hoch, Fock hoch und back gehalten, Anker hoch und schon segeln wir aus der Bucht. Die ersten Meilen sind frustrierend, es ist kaum Wind und wir setzen die Genua statt der kleinen Fock. Der Wind dreht gegen uns und nach zwei Sunden haben wir nur etwa eine Meile gutgemacht. Dann dreht er noch etwas weiter und nimmt zu, jetzt können wir unser Ziel fast direkt anliegen.
Noch zwei kurze Wenden, der Wind nimmt auf über 20 Knoten zu, wir rollen die Genua wieder weg, setzen abermals die Fock und kneifen noch etwas mehr Höhe, so dass wir ohne weitere Wende knapp um das Riff und dann in die Bucht von Santa Barbara segeln. Fock runter, in den Wind, Anker runter, Groß runter. Leider hält der Anker auf dem steinigen Grund nicht gleich und wir brauchen einen zweiten Versuch, diesmal unter Maschine, um auch gleich zu sehen ob die Pumpe dicht ist und ob wieder Wasser ins Öl gelangt. Beide Antworten sind ja. Blöd, also ist die Pumpe nicht der Übeltäter. Neue Dichtungen wären die uns liebste und einfachste Lösung gewesen.
Trotzdem, es war ein schöner Segeltag und es war ein unvergesslicher Ausflug in den Nationalpark Los Haitises. Für heute heißt es Feierabend und Sundowner, ab morgen heißt es Fehlersuche und trabajo, trabajo.
Ach ja, kurzer Nachtrag:
Fast vergessen: Vor unserem Ausflug nach Los Haitises waren wir noch Wale gucken, allerdings nicht mit unserem eigenen Boot (man darf nicht einfach so zum privaten Whalewatching raus fahren), sondern mit einer Tour. Wir waren hin- und hergerissen, ob das eine gute Idee ist, das Fazit jedoch geht in Richtung keiner guten Idee. Auch wenn es nur zwei Touren am Tag und verschiedene Regelungen zum Wohle der Wale gibt, man kann es leider nicht anders sagen, die Wale werden bedrängt.
Eine Walkuh mit einem nur wenige Tage altem Kalb findet es mit Sicherheit nicht cool, von drei Booten begleitet zu werden, die den Tieren kaum eine Chance lassen, zu entkommen. Schade, wir hätten uns mehr Respekt für die Tiere erwartet und gedacht, dass draußen getrieben und auf die Tiere gewartet wird, anstatt bei jeder Sichtung hinterherzufahren. Es war eine Erfahrung, es war beeindruckend für Kira, die Giganten aus nächster Nähe zu sehen, aber eines ist auch klar: Wir werden es nicht mehr machen. Wir warten ab jetzt lieber, bis sich die Wale uns freiwillig zeigen.
Und Nachtrag zum Zweiten: Hier ist noch ein Blogartikel von unserem Tramper Kai, der mit uns von St. Martin nach Samana gesegelt ist. Wir finden es sehr spannend, von unserer Reise mal aus einer anderen Perspektive zu lesen: Auf der Aracanga von St. Martin bis in die Dom Rep | Pinchekai
So, jetzt ist aber Ende.
Es grüßen aus Samana die ARACANGAs Naia, Kira, Riki, Naia
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