Planänderung
Ich glaube, wir können ohne Einschränkungen behaupten, dass die Casamance das bisherige Highlite unserer Reise ist. Hier stimmt einfach alles: Wunderschöne Natur mit einer artenreichen Flora und Fauna, kaum Tourismus und unbeschreiblich Gastfreundliche und hilfsbereite Menschen. Das ist auch der Grund, warum wir uns entschieden haben, unseren Aufenthalt in Westafrika zu verlängern und stattdessen weniger Zeit in Südamerika und in der Karibik zu verbringen. Hier finden wir alles, was wir suchen und gleichzeitig ist das Leben hier günstig. Auf unserer to-do-Liste, die zurzeit erstaunlich kurz ist, gibt es eine zweite Spalte, die man eher als Wunschliste bezeichnen könnte. Hier stehen Verbesserungsvorschläge für die aracanga, die nicht notwendig, allerdings praktisch wären, Punkte wie „neuer Salontisch“ (der jetzige ist zu klein), Brückendeck, zusätzlicher Stauraum oder Regalbrett im Badschrank. All das sind Dinge, die wir hier im Senegal und in Gambia günstig erledigen können, uns in der Karibik allerdings wahrscheinlich nicht leisten könnten. Außerdem haben wir vor, im Sommer für ein bis zwei Monate nach Hause zu fliegen, Freunde und Familie zu besuchen und ein paar Vorträge über die Reise zu halten. Die Fluganbindungen von hier nach Deutschland sind sehr gut und günstiger als ein Transatlantikflug und hier können wir während dieser Zeit unsere aracanga günstig und sicher vor Anker liegen lassen. Und last but not least der wichtigste Grund: Wir haben uns in Land und Leute verliebt und möchten noch gar nicht weiterziehen.
Reisen ist tödlich für Vorurteile
Wir müssen dieses Zitat von Mark Twain, das wir als Titel des letzten Blogeintrags genutzt hatten, einfach noch einmal aufgreifen, da unsere Reise bereits zu hitzigen Debatten über die Sicherheit in der Region Casamance geführt haben. Es gibt wenige andere Segler und wenige Touristen hier, aber es gibt sie. Da die Amtssprache hier im Senegal französisch ist, trifft man hauptsächlich französischsprachige Landsleute an. An unserem letzten Ankerplatz haben wir ein belgisches Pärchen getroffen, die mit ihrem großen Katamaran bereits seit vielen Jahren in der Region unterwegs sind und auch die Beiden haben unseren bisherigen Eindruck bestätigt:
Selbst wenn sie den ganzen Tag nicht an Bord sind, sie lassen alles offen stehen und es ist noch nie etwas abhanden gekommen. Ganz im Gegenteil, als ein Kind im Dorf vor Kurzem Geld in einem Umschlag gefunden hat, hat es diesen an seine Eltern und diese wiederum an den Häuptling gegeben, der daraufhin Caro und Benno gefragt hat, ob sie einen Umschlag mit Geld verloren haben. Wir als Segler fühlen uns herzlich willkommen hier und bei jedem Landgang lernt man neue Menschen und Freunde kennen, wodurch sich sehr schnell ein Netzwerk aufbaut und jeder ein Auge aufeinander und auch auf unser Boot hat. Würde etwas gestohlen, wäre es eine Schande für das ganze Dorf.
Von Dakar nach Süden
Von der Hauptstadt Dakar bis in die Casamance sind es ca. 130 Seemeilen zu segeln. Die Einfahrt in den Fluss Casamance und die gleichnamige Region ist zwar flach, aber gut betonnt und bei steigender Flut sicher machbar. Wir haben uns für die Fahrt von Dakar hierher genügend Zeit einkalkuliert, da der Wind in dieser Region oftmals nur sehr schwach weht. Trotzdem waren wir deutlich schneller unterwegs als geplant und sind nur mit kleiner Besegelung und „angezogener Handbremse“ gesegelt. Morgens um acht Uhr ging es dann durch den gut betonnen Kanal in das Flussdelta der Casamance, wo wir gleich nach der Einfahrt von vier sympathischen, jungen Marinesoldaten kontrolliert wurden. Sie wollten die Pässe, Bootspapiere und Zolldokumente aus Dakar sehen und haben uns dann anstandslos die verbleibenden, wenigen Meilen bis in die Ortschaft Elinkine weiterfahren lassen. Kurz, nachdem in Elinkine der Anker gefallen ist, sind auch André und Karin mit ihrem Streuner angetuckert gekommen und haben knapp neben uns geankert.
Angekommen in der Casamance
Wir haben uns von Anfang an in die Casamance verliebt, schon die ersten Meilen auf dem Fluss waren wie die Fahrt in eine andere Welt. An allen Seiten des verzweigten Flussdeltas säumen sattgrüne Mangrovenbäume die Ufer, hin und wieder unterbrochen von kleinen Sandstränden mit verschiedenen Palmenarten. Hinter den Mangroven sieht man die für Afrika so typischen, mächtigen Baobabbäume wachsen, der auch im Wappen des Senegal zu finden ist, und auf den Flussarmen sind selbstgeschnitzte Einbaumkanus und lange, elegante Pirogen unterwegs.
Kaum waren die aracanga und der Streuner vor der Ortschaft Elinkine verankert, haben wir auch schon die Beiboote klar gemacht, um an Land zu paddeln. Wir Europäer werden hier „Toubab“ genannt und aus fast jeder Palm-oder Wellblechhütte hören wir die „Toubab“-Rufe der Kinder, die uns an den Händen nehmen und teilweise in ganzen Scharen begleiten. Nachdem wir etwas Obst und Gemüse besorgt und einen für hier typischen Kaffee Tuba (Kaffee mit Kardamon, Pfeffer und anderen Gewürzen) getrunken haben, ging es dann entlang der Hauptstraße zurück zu den Dinghis, aber so weit sind wir nicht gekommen. Wir sind geradewegs ein paar Jungs, die gerade vom Fischen nach Hause gekommen sind, in die Arme gelaufen und die haben es sich nicht nehmen lassen, uns zum gemeinsamen Palmwein trinken einzuladen. Der Palmwein wird in einem großen Tonkrug auf den Boden gestellt und aus einer halben Schale der Baobab-Frucht getrunken. Die Frucht ist etwas kleiner als eine Kokosnuss, das Fruchtfleisch kann man essen oder zum süßen verwenden und außerdem wird die Frucht für medizinische und Medizinmann-Zwecke verwendet. Leicht angetrunken vom nachmittäglichen Palmweingelage ging es dann mit einem kurzen Zwischenstopp in einem kleinen „Restaurant“ zurück an Bord. Das „Restaurant ist ein kleiner Raum mit einem grob zusammengenagelten Tisch und zwei Bänken, auf der einen Seite sitzt die Köchin mit einem kleinen Gas- oder Kohlekocher, auf der anderen Seite nehmen die Gäste Platz und ringsherum sitzen ein paar Männer und Frauen auf Schemeln beim Kaffee Tuba oder Tee trinken. Uns wird das Baby der Köchin in die Hand gedrückt, damit es nicht im Weg umgeht. Zu essen gibt es in der Regel Couscous, Reis oder Buchweizen mit Fisch und einer würzigen, leckeren Sauce. Vier Essen inklusive vier Kaffee Tuba kosten umgerechnet vier Euro.
Durch das Delta der Casamance
Elinkine ist schön und gastfreundlich, wir aber sehen uns nach einem ruhigen Ankerplatz inmitten der Natur um und finden diesen ein paar Meilen weiter südlich in der Nähe von Catacalouse. An einem kleinen Strand inmitten der Mangroven ankern die Streuner und wir machen die aracanga längsseits an ihnen fest. Jetzt wohnen wir quasi in einer Doppelhaushälfte. Die nächsten beiden Tage gehen ins Land, ohne dass viel passiert. Wir unternehmen kleine Spaziergänge am Ufer, wo das Überschwemmungsgebiet für den Reisanbau genutzt wird, gehen schwimmen und genießen die Ruhe und Abgeschiedenheit nach den hektischen Tagen mit den vielen Einladungen in Dakar und Elinkine. Wir sammeln und essen Austern, die hier zu tausenden an den Wurzeln der Mangroven hängen und nur ab und an kommt ein Fischer vorbeigepaddelt, der uns mit einem herzlichen „Kassumai“, was „Hallo“ auf der hiesigen Stammessprache der Yola heißt, grüßt.
Dann geht es weiter zur nächsten Ankerplatz bei dem kleinen Dorf Ehidj, unserem bisherigen Lieblingsplatz. Hier lernen wir das belgische Pärchen Caro und Benno kennen, die uns viel über die Casamance, das Dorf und das Volk der Yola erzählen. Sie sind seit 2013 mit ihrem Katamaran in der Casamance unterwegs.
Von den Fischern im Dorf inspiriert versuchen André und ich auch unser Anglerglück und ziehen mit dem „Baby-Streuner“ und zwei Schleppangeln los. Keine zwei Minuten später zappelt ein leckerer Barsch an der Angel und noch eine viertel Stunde später gleich noch ein anderer Fisch, der allerdings mitsamt unserem Köder Reißaus nimmt. Leider war das unser einziger Wobbler, andere Köder eignen sich hier zum Schleppfischen nicht. Aber jetzt war das Jagdfieber erst so richtig geweckt und am Nachmittag war Wobbler schnitzen angesagt und siehe da, wir haben am nächsten Morgen wirklich einen kleinen Barrakuda mit unseren selbst geschnitzten Ködern gefangen.
Im Dorf steht ein kleiner Brunnen, an dem es sauberes Trinkwasser aus ca. zehn Meter Tiefe gibt. Wasser ist genügend vorhanden, so dass uns angeboten wird, unsere Wassertanks aufzufüllen. Es ist zwar viel Arbeit, die schweren Kanister zum Brunnen und zurück an Bord zu schleppen, aber das gehört genauso wie die angenehmen Seiten dazu. Das Leben hier in der Casamance ist sehr einfach, aber es mangelt an nichts. Es gibt genügend Wasser und genug zu essen, allerdings nicht in der Vielfalt wie wir es von zu Hause gewohnt sind. Wenn es Tomaten gibt, werden Tomaten verkauft und wenn es Orangen gibt, werden Orangen verkauft, das Angebot bestimmt den Speiseplan. Im Dorf gibt es eine Familie mit einem Hühnerstall, wo man Eier oder frisch geschlachtetes Hühnchen kaufen kann und nebenan einen kleinen Garten, wo es Salat und verschiedenes Gemüse gibt. Frisch heißt hier wirklich frisch. Ein kleiner, etwa zehn Jahre alter Junge verkauft uns ein Huhn, schnappt es sich und schlachtet es mit fachkundigen Handgriffen vor unseren Augen und denen einer neugierigen Entenfamilie, die im Kreis um den Bub stehen und zusehen.
Uns gefällt´s und wir könnten noch deutlich länger hier bleiben, aber unser Boot darf nur einen Monat im Senegal bleiben und daher machen wir uns auf den Weg, um noch weitere Orte auszukundschaften. Zusammen mit Benno und Caro, die jeden Seitenarm des Flusslabyrinths wie ihre Westentasche kennen, machen wir uns zu Sonnenaufgang kurz vor Hochwasser auf den Weg durch enge, flache und verschlungene Creeks zu einem anderen Ankerplatz etwas weiter nördlich, an dem zwei Stunden später der Anker wieder gefallen ist. Und dank unseres gestrigen Ausflugs nach Cap Skirring, der nächsten größeren Stadt, haben wir auch wieder Köder, die wir hinter dem Boot her schleppen, diesmal leider erfolglos.
Es gibt kaum Informationen über das Segelgebiet hier, aber wir können jeden nur ermutigen, hier her zu kommen, ob mit oder ohne Segelboot. Wer Tipps, Infos, Wegpunkte oder Routen benötigt, kann uns gerne eine Nachricht schicken.
Viele liebe Grüße von Riki und Martin
Freiheit auf Zeit – Weltumsegler erzählen (Kristina Müller)
Jede Weltumsegelung ist eine Liebesgeschichte. Erzählt von Männern und Meeren, von Frauen und Freiheit. Und von der Verwirklichung lang gehegter Träume.
Vor diesen Geschichten sei gewarnt. Sie können akutes Fernweh auslösen und Reisefieber verursachen, bis hin zu dem drängenden Verlangen, jetzt, gleich und hier alles stehen und liegen zu lassen, auf ein Boot zu steigen und davon zu segeln…
Zwölf Weltumsegelungen – zwölf ganz unterschiedliche Geschichten – unter Anderem die Geschichte unserer Weltumsegelung mit der Ivalu von 2010 bis 2013
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Sehr netter Blog. War vor Jahren selbst auf einem neuneinhalb Meterboot rund um die Welt und finde Eure Route sehr interessant! Alles Gute! Liebe Grüße Lore
Toller Bericht, freue mich jetzt noch mehr auf die casamance, bin in 3 Wochen dort, allerdings mit dem Motorrad, nicht Segelboot