18. Juli 2018 – Leinen los! Wenn man ehrlich ist – weit sind wir ja nicht gekommen in einem Jahr auf großer Fahrt. Manche Freunde von uns haben in der gleichen Zeit zwei Mal den Atlantik überquert, sind bereits wieder zu Hause in Lohn und Brot und das Boot wird im Internet zum Verkauf angeboten. Aber das wollten wir ja auch gar nicht. Ganz bewusst haben wir vor der Abreise gesagt, wir geben der Spontanität eine Chance und wahren uns jederzeit die Möglichkeit, unsere Pläne über den Haufen zu werfen und neue Pläne zu schmieden. Und wir möchten uns Zeit nehmen. Und genau das tun wir.
Etappe 1: Binnen durch Frankreich
„Wir fahren die Donau runter und dann durch das Schwarze Meer und das Mittelmeer in den Atlantik.“ Das war unser erster Plan und er klingt nach wie vor nach einer reizvollen Reise. Er klingt aber auch nach sehr vielen Stunden unter Maschine und einer langen Zeit im Mittelmeer, das zwar sehr schön ist, aber leider die Bordkasse schnell dahinschmelzen lassen kann… „Warum fahrt Ihr nicht durch die französischen Kanäle?“ Diese Möglichkeit hatten wir so gar nicht auf dem Radar und nach einiger Recherche und Überlegung halten wir diese Reise für eine tolle Alternative. Die Kanäle sind für Boote bis 1,80 Meter Tiefgang ausgebuddelt, so dachten wir jedenfalls, und die Saone und die Rhone sind sowieso tief genug für unsere „aracanga“ mit ihren 1,65 Metern Tiefgang.
Also geht die Reise mit dem Tieflader vom Bodensee, wo wir die letzten zwei Jahre unser Boot für die Reise vorbereitet und ausgebaut hatten, nach Breisach am Rhein und dort mit dem Kran des Gewerbehafens schwungvoll aber sicher ins Wasser. Check: Die neu eingebauten Seeventile sind alle dicht und auch die Maschine springt trotz einiger Modifikationen sofort an. Den Mast packen wir längs aufs Boot, die Segel kommen in die Hundekoje und sämtlicher Stauraum wird mit haltbaren Lebensmitteln für viele Monate gefüllt. Mit 30 Litern Diesel im Tank und zusätzlichen 30 Litern in Kanistern können wir um die 100 Stunden motoren, das sollte fast bis zum Mittelmeer reichen.
Los geht es. Die ersten Wochen werden wir von der „Olive“ und unseren guten Freunden Lu und Carina begleitet. Vom Rhein fahren wir in den Rhein-Rhone Kanal, dessen Kanalabschnitte sich immer wieder mit dem natürlichen Fahrwasser des Flusslaufs des Doubs abwechselt, was eine tolle Kulisse für einen ausgeprägten Binnentörn bietet, hätte man das richtige Boot dafür. Von wegen 1,8 Meter Tiefgang. Schon in der ersten Woche sitzen wir einige Male auf, können uns aber immer aus eigener Kraft befreien. Bis kurz vor Besancon, wo zwei Untiefen von etwa 1,3 Meter die Durchfahrt versperren. Wie oft hatten wir „Oui, oui, pas de problem“ gehört und uns darauf verlassen. Jetzt gibt es kein vor und zurück und bei der extremen Sommerhitze des letzten Jahres können wir dem Kanal beim Verdunsten zusehen. Die einzige Lösung:
In den sauren Apfel beißen und etwa 100 Kilometer bis zur Saone über Land zu fahren. Zum Glück finden wir einen Spediteur, der sowieso gerade in Frankreich unterwegs ist, und einen Straßenkran, der uns in seinen engen Zeitplan einschiebt. In Saint Jean de Losne geht es zurück ins Wasser und wir treffen auch die „Olive“ wieder, die mit ihrem einen Meter Tiefgang keinerlei Probleme hatten und deren Reise hier leider endet. Für uns geht es durch einige weitere Schleusen, die höchste davon 22 Meter, und vorbei an Lyon und Avignon nach Süden, wo unsere Kleine genau einen Monat nach dem Start in Breisach zum ersten Mal Salzwasser unter dem Kiel spürt.
Etappe 2: nach Westen durchs Mittelmeer
Der Mast ist bald gestellt und die erste Etappe segeln wir nach Mallorca. Naja, mit Segeln ist nicht allzu viel, leider erleben wir eine ausgeprägte Flaute.
Da allerdings Freunde und Familie auf Mallorca auf uns warten beschließen wir, unseren Motor noch etwas zu bemühen und fahren lange Teilstücke der Überfahrt unter Maschine. Auf Mallorca liegen wir in Port de Soller vor Anker und segeln dann um die Westspitze der Insel nach Palma, um dort das Team von Profihost, die uns großzügig mit unserem Onlineauftritt und der Satellitenkommunikation unterstützen, zu treffen. Nach einer waschmaschinenartigen Überfahrt von Mallorca zurück ans Festland heißt unser nächstes Ziel Cartagena. Nein, nicht in Kolumbien, sondern an der Südküste Spaniens. Die Stadt ist toll, wir treffen die ersten anderen Fahrtensegler, alte und neue Freunde, mit denen wir bis heute gut in Kontakt sind. Unser nächstes Ziel ist die Bucht von Gibraltar und nach einer Woche Wetterlotto in Cartagena legen wir ab. Seglerisch ist die Überfahrt nach der Rundung des Cabo de Gata ruhig und entspannt, jedoch wird uns immer wieder ins Gewissen gerufen, dass nicht jede Seefahrt zum eigenen Vergnügen unternommen wird, wie gut es uns eigentlich geht und wie viele Menschen sich aus Verzweiflung und Vertreibung jedes Jahr auf eine lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer begeben. Eine auf dem Wasser treibende Schwimmweste führt uns das Elend direkt vor Augen.
Hilfe zu leisten ist das oberste Gebot guter Seemannschaft. Aber wieso wird man im einen Fall bei unterlassener Hilfeleistung verurteilt und im anderen Fall bei Hilfeleistung als Schlepper verurteilt? Ehrlich gesagt, wir verstehen den Unterschied von Mensch in Not und Mensch in Not nicht. Während wir über Obergrenzen und Quoten diskutieren wird leider oft übersehen, dass hier draußen jeden Tag Menschen sterben. Organisationen wie Sea Watch verdienen unseren größten Respekt und übernehmen eine Pflicht, die Andere ignorant verweigern. Stattdessen werden sie kriminalisiert. Wir bemühen uns eigentlich, auf dieser Website nicht politisch zu werden, aber manchmal fällt uns das schwer.
Zurück auf die „aracanga“. Kurz vor Gibraltar fällt der Entschluss, dass wir unser passives AIS gegen ein aktives Gerät austauschen möchten, was ein erhebliches Plus an Sicherheit bedeuten würde. Wir stecken bei absoluter Flaute im Nebel fest und sehen nicht bis zum Bug. Knapp neben uns rauschen mit 20 Knoten die dicken Pötte vorbei und noch knapper neben uns schält sich das Licht eines anderen Seglers aus dem Nebel, der ebenso wie wir kein AIS Signal sendet und uns von dessen Notwendigkeit überzeugt. Als der Nebel etwas später aufreißt starten wir die Maschine und tuckern die letzten Meilen in die große Bucht von Gibraltar und in den dortigen Yachthafen. Ein paar Plätze sind noch frei und gerade als wir anlegen möchten, springt ein aufgeregter, etwas älterer Brite auf dem Steg auf und ab und lässt uns wissen, dass keine Liegeplätze mehr frei seinen. Es klingt aber eher nach „Euer Boot ist zu klein“. Also die britische Gastlandflagge runter, die spanische wieder hoch und ab in den Hafen von La Linea, der uns im Nachhinein ohnehin sympathischer ist.
Die Straße von Gibraltar mit dem Rock of Gibraltar im Norden und dem mit 852 Metern genau doppelt so hohen Jbel Musa auf der afrikanischen Seite ist die Grenze zwischen Mittelmeer und Atlantik, zwischen Europa und Afrika und zwischen abendländischer und arabischer Kultur. Unser nächstes Ziel ist Marokko. Es ist zwar nur eine kurze Etappe, die aufgrund von Wind, Tide und Strömung aber gut geplant sein möchte. Wegen des größeren Salzgehaltes fließt das Mittelmeerwasser in der Tiefe in den Atlantik, aber durch den Pegelunterschied von 1,4 Metern zwischen den beiden Meeren fließt das Atlantikwasser an der Oberfläche wiederum ins Mittelmeer. Dazu kommen die Tidenströme, die einen Hauptstrom in der Mitte und je einen Gegenstrom in Ufernähe bilden und durch den Wind bedingte Strömungen.
Etappe 3: Inseln im Atlantik und die afrikanische Küste
Unser erster Stopp auf dem afrikanischen Kontinent ist die Stadt Tanger. Sie ist seit jeher von Mythen umrankt und soll einst der Ort gewesen sein, an dem Noah mit seiner Arche anlandete. Tanger als Grenze zwischen den Kontinenten und Kulturen hat schon immer den internationalen Jetset, Drogenbosse und Prostituierte, Künstler und Glücksritter begeistert und ist heute noch eine faszinierende Mischung aus Tradition und Moderne. Die „aracanga“ ist ein angenehmer Ruhepol zur belebten und hektischen Altstadt und die neue Marina bietet einen sicheren und günstigen Hafen für das Boot. Marokko bereist man am besten von Land und lässt das Boot während dieser Zeit in einer sicheren Marina wie Tanger oder Rabat, unserem nächsten Ziel. Von dort aus unternehmen wir Ausflüge mit dem Leihwagen in die faszinierende Königsstadt Fes oder mit dem Dinghi den Fluss Bouregreg entlang. In Rabat bleiben wir länger als geplant, denn ab zwei Meter Welle wird der Hafen gesperrt, da die Ein- und Ausfahrt zu gefährlich ist. Aber das hat auch sein Gutes, denn hier lernen wir unsere Freunde Karin und André mit ihrem kleinen Boot „Streuner“ kennen, mit denen wir die nächsten Monate zusammen unterwegs sein werden.
Der „Streuner“ und die „aracanga“ sind beide neun Meter lang und beide eher einfach ausgerüstet. Die Streunercrew ist genau wie wir mit kleinem Budget unterwegs, abenteuerlustig und treibt sich gern mal fernab der ausgetretenen Routen herum. Somit fällt es uns nicht allzu schwer, die Beiden zu überzeugen, uns entlang der westafrikanischen Küste in den Senegal und nach Gambia zu begleiten, anstatt von den Kapverden aus den Atlantik zu überqueren. Gesagt, getan, zuvor segeln wir jedoch noch auf die Kanarischen und Kapverdischen Inseln, bevor wir links abbiegen, wo alle Anderen nach Westen segeln. Auf den Kanaren fällt der Anker nach einer wechselhaften Überfahrt von Rabat aus vor der Insel Graciosa. Zwar zerren einige Knoten Wind an der Ankerkette, aber die beiden Boote bewegen sich keinen Meter und außerdem hat der starke Wind den Vorteil, dass sich viele Boote in nahegelegene Häfen verzogen haben und die ansonsten sehr beliebte Ankerbucht nicht sehr voll ist. Lanzarote und Gran Canaria heißen die nächsten Ziele und wir verbringen die Zeit mit warten: Warten auf Ersatzteile auf Lanzarote und warten auf das richtige Wetter in Las Palmas, um die etwa 800 Seemeilen auf die Kapverden zu segeln.
Die Überfahrt beginnt schaukelig und windig, entwickelt sich jedoch nach und nach zu einem wahrhaftigen Traum mit tollen Begegnungen wie Delfinen, Schildkröten, fliegenden Fischen und einem großen Pottwal. Nach acht Tagen sichten wir die östlichste Kapverdeninsel Sal und werfen den Anker wenig später vor der kleinen Ortschaft Palmeira. Schon bei der Einfahrt in den Hafen haben wir das Gefühl, ganz weit weg zu sein. Palmeira ist ein kleiner, farbenfroher Ort, der einen schnell mit seinem lebensfrohen Spirit und der typisch kapverdischen „No Stress“-Mentalität in seinen Bann zieht. Sal, San Nicolao, Santa Luzia, Sao Vicente, Santo Antao, wir bleiben ein paar Wochen auf den Kapverden, besuchen die komplette nördliche Inselgruppe und genießen jeden Tag und jede Insel. Bis hier gleicht unsere Reise manch anderen Segelreisen und die „normale“ Route führt ab hier in die Karibik. Wir jedoch möchten, bevor wir über den Atlantik segeln, die Möglichkeit nutzen und noch mehr von Westafrika erkunden. Der Senegal und Gambia sind unsere Ziele und als erstes steuern wir Dakar, die Hauptstadt des Senegals an. Dakar ist laut, faszinierend, dreckig, spannend und ganz anders als alles, was wir auf unserer bisherigen Reise kennengelernt haben. Wir liegen vor dem örtlichen „Yachtclub“ vor Anker und neben uns liegt noch ein spanisches und ein französisches Boot, ansonsten vegetieren einige Wracks vor sich hin.
So spannend Dakar auch ist, uns zieht es bald weiter in den Süden des Landes und wir tauschen den Großstadtlärm Dakars gegen die wunderschöne Natur der Casamance. Die Casamance ist ein Flusssystem in der gleichnamigen Region und bietet genügend schöne Ankerplätze für ein ganzes Seglerleben. Leider ist unser Visum für den Senegal viel zu kurz und wenige Wochen später müssen wir den Beamten mit einem kleinen Trinkgeld überzeugen, uns die Ausreisestempel in die Pässe zu geben. Nächstes Ziel: Gambia. Es ist das kleinste Land Kontinentalafrikas und für uns der längste Aufenthalt der bisherigen Reise. Gambia ist nicht viel breiter als der gleichnamige Fluss und von allen Seiten vom Senegal umschlossen. Nur im Westen hat das Land eine kurze Atlantikküste. Zusammen mit dem „Streuner“ motoren wir auf der „aracanga“ den Fluss etwa 400 Kilometer ins Landesinnere, wo wir traditionelle Dörfer und eine beeindruckende Natur erleben dürfen. Für einige Kinder in den Dörfern sind wir die ersten Weißen, die sie zu Gesicht bekommen und die Reaktionen fallen äußerst unterschiedlich aus:
Von lautem Freudengekreische über Geschmacksproben und ausführlicher Studie der Augen, Nasen und Ohren bis hin zu hysterischen Schreikrämpfen und der Schutzsuche unter Mamas Rock. Weniger beeindruckt von unserer Anwesenheit geben sich Krokodile, Nilpferde, Affen und Co, hier sind wir diejenigen, die staunen. Mittlerweile ist Gambia schon fast zu einer zweiten Heimat für uns geworden, wir haben viele gute Freunde und verbringen viel Zeit mit den Familien, werden bekocht und umsorgt und bringen im Gegenzug Kleidung, Schulmaterialien und andere, nützliche Dinge von unserem Heimaturlaub mit. Auch unterstützen wir mit vielen Spenden unserer Blogleser den Bau eines Brunnens für die Grundschule in Bombale, einem kleinen Dorf am Fluss.
Jetzt sind wir über den Sommer für ein paar Monate zurück in Deutschland und freuen uns, Freunde und Familie hier zu treffen. Bald geht es weiter und dann auch für uns über den Atlantik und auf großer Fahrt neuen Abenteuern entgegen. Bis dahin werden wir trotzdem den ein oder anderen Blogeintrag hier schreiben und den Sommer in Deutschland genießen.Es grüßen ganz herzlich die „aracangas“ Riki und Martin
Freiheit auf Zeit – Weltumsegler erzählen (Kristina Müller)
Jede Weltumsegelung ist eine Liebesgeschichte. Erzählt von Männern und Meeren, von Frauen und Freiheit. Und von der Verwirklichung lang gehegter Träume.
Vor diesen Geschichten sei gewarnt. Sie können akutes Fernweh auslösen und Reisefieber verursachen, bis hin zu dem drängenden Verlangen, jetzt, gleich und hier alles stehen und liegen zu lassen, auf ein Boot zu steigen und davon zu segeln…
Zwölf Weltumsegelungen – zwölf ganz unterschiedliche Geschichten – unter Anderem die Geschichte unserer Weltumsegelung mit der Ivalu von 2010 bis 2013
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This is incredible, I think! I wonder, how did you manage to make such a long trip. I believe, it is very tiresome, isn’t it?